Rasender Winzling: Astronomen haben den schnellsten ungebundenen Stern der Milchstraße entdeckt – und den exotischsten. Denn sein Tempo erhielt der Subzwerg nicht durch das supermassereiche Schwarze Loch, wie die meisten anderen „Raser-Sterne“. Stattdessen brachte ihn eine Supernova Typ 1a auf Touren – ein astronomisches Novum, so die Forscher im Fachmagazin „Science“.
Normalerweise sind Sterne in unsere Milchstraße gebunden: Sie kreisen auf einer festen Bahn um das galaktische Zentrum. Doch es gibt Ausnahmen – stellare Einzelgänger, die mit rasender Geschwindigkeit quer durch die Galaxie fliegen. Bereits 2010 entdeckten Astronomen einen massereichen blauen Stern, der sich mit fast 700 Kilometern pro Sekunde vom galaktischen Zentrum entfernt. Er galt damals als der schnellste bekannte Stern der Milchstraße.
Auf Kurs Richtung Halo
Doch Stephen Geier von der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Garching und seine Kollegen haben nun einen noch schnelleren und deutlich exotischeren „Raser-Stern“ entdeckt. US 708, so der offizielle Name des Sterns, bewegt sich mit einem Tempo von rund 1.200 Kilometern pro Sekunde. „Er ist damit der schnellste bekannte ungebundene Stern unserer Galaxie“, berichten die Forscher.
Zurzeit ist US 708 rund 27.700 Lichtjahre von uns entfernt, er bewegt sich aus der galaktischen Ebene hinaus in Richtung der Halo der Milchstraße, wie die Astronomen berichten. Als sie mit Hilfe eines Modells die Flugbahn des Sterns zurückverfolgten, stellten sie fest, dass er vor rund 14 Millionen Jahren die Hauptebene der Milchstraße gekreuzt hat. „Damit aber kann ein Ursprung im Zentrum unserer Galaxie mit hoher Sicherheit ausgeschlossen werden“, konstatieren die Forscher.
Was machte ihn so schnell?
Dies jedoch wirft Fragen zum Ursprung von US 708 auf: Was machte ihn zum „Raser-Stern“? Bisher nahm man an, dass ein enger Vorbeiflug am supermassereichen Schwarzen Loch im Zentrum der Milchstraße als „kosmische Schleuder“ wirkt und solche Sterne so enorm beschleunigt. Doch US 708 kam diesem Schwarzen Loch nicht einmal ansatzweise nahe. Was verlieh ihm dann sein enormes Tempo?
Einen Hinweis darauf gibt US 708 selbst. Denn er ist ungewöhnlich klein und exotisch. Der kosmische Winzling hat nur die halbe Sonnenmasse und verbrennt keinen Wasserstoff, wie die Sonne und andere sogenannte Hauptreihensterne, sondern brennt auf Heliumbasis. „Das unterscheidet ihn von allen anderen bekannten Hochgeschwindigkeits-Sternen“, so die Forscher. Das Heliumbrennen beginnt normalerweise erst gegen Ende des Lebenszyklus eines Sterns und hält nur einige Zehnmillionen Jahre an.
Explosive Geburt im Doppelsystem?
Nach Ansicht der Astronomen könnte es sich bei US 708 um den ehemaligen Kern eines Roten Riesen handeln, dem ein enger Begleiter einen Großteil seiner äußeren Hülle abgesaugt hat. Das aber bedeutet, dass der „Raser-Stern“ irgendwie aus seinem ursprünglichen Doppelsternsystem herauskatapultiert worden sein muss. Aber wie? Auch hier erhielten die Astronomen einen Tipp vom Stern selbst. Denn er dreht sich ungewöhnlich schnell um sich selbst.
Eine so hohe Rotation aber kann darauf hindeuten, dass US 708 durch eine Sternexplosion aus seinem Heimatsystem geschleudert wurde – eine Typ 1a Supernova. In diesem Szenario umkreiste der zunächst noch größere Heliumstern US 708 einen massereichen Stern, der bereits allen Wasserstoff und Helium verbrannt hat und nur noch Kohlenstoff und Sauerstoff als Treibstoff für die Kernfusion in sich trägt.
Ganz neuer Beschleunigungs-Mechanismus
Dieser todgeweihte Stern zieht seinem kleineren Begleiter US 708 immer stärker an und saugt ihm dabei einen Teil des Heliums ab. Dadurch aber wird er selbst so stark destabilisiert, dass er in einer thermonuklearen Explosion endet. Diese Supernova wiederum schleudert US 708 mit enormer Wucht ins All hinaus – und macht ihn zum Raser-Stern.
„Damit haben wir einen neuen Beschleunigungs-Mechanismus für die schnellsten ungebundenen Sternen unserer Galaxie gefunden“, sagen die Forscher. Gleichzeitig aber helfe dies auch dabei, mehr über Typ 1a- Supernovae zu verstehen. Denn auf welche Weise diese Explosionen ausgelöst werden können, ist bisher nur in Teilen bekannt. (Science, 2015; doi: 10.1126/science.1259063)
(Science, 06.03.2015 – NPO)