Pflanzenschutz tötet Gewässer: Eine neue Weltkarte zeigt an, in welchen Regionen Flüsse und Seen durch Pestizide besonders gefährdet sind. Das Ergebnis ist ernüchternd: Am höchsten ist das Risiko in warmen Regionen und in Entwicklungsländern mit stark wachsender Bevölkerung – ohne Gegenmaßnahmen wird der Einsatz von Pestiziden dort noch weiter zunehmen, warnen die Forscher im Fachmagazin „Environmental Pollution“.
Das Pflanzenschutzmittel Ökosysteme schädigen können, ist an sich wenig überraschend – sie werden schließlich gezielt eingesetzt, um schädliche Tiere und Pflanzen zu bekämpfen. In der Landwirtschaft sollen sie Schädlinge und Unkräuter unter Kontrolle halten und so die Ernte schützen. Allerdings gelangen die freigesetzten Chemikalien wie Pestizide und Dünger so auch in die Umwelt, der Regen wäscht sie aus und trägt sie in Flüsse und Seen. Weltweit sind es pro Jahr geschätzte vier Millionen Tonnen an Pflanzenschutzmitteln, das entspricht etwa 270 Gramm pro Hektar Landfläche der Erde.
„Von früheren Untersuchungen wissen wir zum Beispiel, dass diese Pflanzenschutzmittel die Artenvielfalt von wirbellosen Tieren in Fließgewässern um bis zu 42 Prozent reduzieren können“, erklärt Matthias Liess vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Wie stark insbesondere Insektenvernichtungsmittel jedoch weltweit die Gewässer belasten, war bislang unklar.
Belastung für einzelne Regionen im Modell
Gemeinsam mit Kollegen hat Liess daher ein globales Modell erstellt, an dem sich das Ausmaß dieser Belastung für einzelne Regionen ablesen lässt. In dieses Modell flossen Daten der Welternährungsorganisation FAO zur Landwirtschaft und NASA-Informationen zur Landnutzung ein, aber auch Werte wie die Durchschnittstemperatur und Niederschlagsmenge.
Danach schätzten die Forscher das sogenannte Runoff Potenzial ab, also welche Menge an Insektiziden über Regenwasser von den Agrarböden in die Bäche und Flüsse abfließt. „Dabei spielt zum Beispiel die Intensität der Niederschläge, die Bodenbeschaffenheit oder die Geländeneigung genauso eine Rolle wie die Art der angebauten Feldfrüchte“, erläutert Koautor Ralf Schäfer von der Universität Koblenz-Landau.
Mehr Pestizide von Nord nach Süd
So entstand eine Weltkarte, die das Risiko für Gewässer durch die Landnutzung des Menschen zeigt. Besonders gefährdet sind demnach momentan vor allem Gewässer im Mittelmeerraum, den USA, Mittelamerika und Südostasien. In Mitteleuropa stuften die Wissenschaftler das Risiko als mittel bis hoch ein.
Dort zeigt sich aber ein deutlicher Trend, der auf der gesamten Nordhalbkugel erkennbar ist: „Das Risiko des Eintrags von Insektenvernichtungsmitteln in Gewässer nimmt in Europa, Nordamerika und Asien nach Süden hin deutlich zu“, beschreibt Mira Kattwinkel vom Schweizer Wasserforschungsinstitut Eawag, „weil dort mit höheren Durchschnittstemperaturen auch mehr Insektizide eingesetzt werden.“ Wegen höherer Temperaturen werde der Einsatz von Insektiziden wegen des Klimawandels noch weiter ansteigen, vermuten die Forscher.
Zunehmender Einsatz bei wachsender Bevölkerung
Weitere bedeutende Faktoren sind Bevölkerungsdichte und -wachstum. Diese zeigen sich besonders auf der Südhalbkugel: Da dort in vielen Ländern Wirtschaft und Bevölkerung stark wachsen, rechnen die Wissenschaftler damit, dass dort künftig mehr Insektizide eingesetzt werden, um mehr Lebensmittel zu produzieren. Auch in vielen Entwicklungsländern könne der Einsatz häufiger werden.
Die Karte könnte sich daher in weiteren Teilen der Erde noch deutlich verfärben. „Unsere Analyse hat Hotspot-Regionen ermittelt, in denen Insektizide ein großes Risiko für die Artenvielfalt in den Gewässern darstellen“, fasst Liess zusammen. Mit der Weltkarte wollen die Forscher Bevölkerung und Behörden in den gefährdeten Regionen für dieses Problem sensibilisieren und lokale Untersuchungen anregen.
Revitalisierung als Gegenmaßnahme
In den stark betroffenen südostasiatischen Staaten Vietnam und den Philippinen geschieht dies bereits: Dort suchen die Forscher zusammen mit dem Internationalen Reisforschungsinstitut IRRI nach Lösungen, um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu verringern. Ein Ansatz dafür könnte beispielsweise die Revitalisierung von Ökosystemen sein, damit die natürlichen Gegenspieler von Reisschädlingen deren massenhafte Vermehrung vermeiden und so Ernteverluste vermeiden.
Eine weitere Maßnahme könnten Pufferzonen an den Gewässerrändern sein. Die Wissenschaftler plädieren für ein effizientes Umweltmanagement, das künftig Behörden und Landwirte über die Kosten, Auswirkungen und Alternativen informieren soll. Denn letztlich entscheidet sich vor Ort, wie stark ein Gewässer unter der Nutzung von solchen Chemikalien leidet. (Environmental Pollution, 2015; doi: 10.1016/j.envpol.2014.12.016)
(Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), 26.02.2015 – AKR)