Nomaden statt Landwirte? Forscher haben neue Hinweise darauf entdeckt, dass die Urversion aller indoeuropäischen Sprachen in der russischen Steppe entstand. Vor rund 6.500 Jahren könnten Reiternomaden diese Ursprache entwickelt und dann über Asien und Europa verbreitet haben. Das allerdings widerspricht einer zweiten Theorie, nach der das Indoeuropäische in Anatolien entstand. Der Streit geht damit erstmal weiter.
Woher kommt unsere Sprache? Das Deutsche gehört zur indoeuropäischen Sprachfamilie, einer Sprachengruppe, die rund 400 Sprachen umfasst und die von rund drei Milliarden Menschen gesprochen werden. Wo aber die Urversion – quasi der Stammvater – aller dieser Sprachen entstand, ist heiß umstritten.
Anatolien oder die Steppe?
Erst 2012 präsentierten Forscher Belege dafür, dass das Indoeuropäische vor gut 8.000 Jahren in Anatolien aufkam und sich dann mit der Landwirtschaft über die Welt verbreitete. Eine andere Theorie aber geht von einer Entstehung des Indoeuropäischen in der russischen Steppe aus – bei nomadischen Reiterstämmen, die in den Gebieten nördlich des Schwarzen und Kaspischen Meeres lebten und diese Ursprache verbreiteten.
Neue Indizien für die Steppentheorie präsentieren nun Will Chang von der University of California in Berkeley und seine Kollegen. Sie haben 200 Wörter aus lebenden und ausgestorbenen indoeuropäischen Sprachen verglichen und aus deren Veränderungen im Laufe der Zeit quasi einen Stammbaum der indoeuropäischen Sprachen rekonstruiert. Über diesen zogen sie dann mit Hilfe von statistischen Berechnungen Rückschlüsse auf deren Ursprung.
Ursprung von 6.500 Jahren
Wie die Auswertung ergab, spricht der Stammbaum der indoeuropäischen Sprachen für einen gemeinsamen Ursprung vor erst rund 5.500 bis 6.500 Jahren. Das spreche gegen die Anatolien-Theorie und für die Steppe als Ursprungsort, konstatieren die Forscher. „Unsere statistische phylogenetische Analyse stützt die Entstehung der indoeuropäischen Sprachen in der pontisch-kaspischen Steppe“, so Chang und seine Kollegen.
Die Heimat unserer Sprache könnte demnach in dem weiten Steppengebiet Eurasiens liegen, das sich von Moldavien über die Ukraine und Russland bis nach West-Kasachstan erstreckt. Archäologische Funde zeigen, dass die dort lebenden Nomadenvölker bereits früh wichtige Kulturtechniken entwickelten, darunter Viehzucht, Wagenbau und Metallverarbeitung. Diese gaben sie vermutlich an andere Kulturen, darunter die Europäer, weiter – und damit möglicherweise auch die Sprache. (Language, 2015; in press)
(Linguistic Society of America, 19.02.2015 – NPO)