Auf frischer Tat ertappt: Zum ersten Mal ist es Forschern gelungen, Atome genau in dem Moment zu beobachten, in dem sie eine chemische Bindung eingehen. Dieser für die Chemie fundamentale Prozess galt bisher als viel zu flüchtig und kurz, um jemals direkt eingefangen zu werden. Doch mit Hilfe eines Röntgenlasers ist dies nun gelungen. Das eröffne ganz neue Erkenntnisse in der Chemie, konstatieren die Forscher im Fachmagazin „Science“.
Ohne sie gäbe es keine Moleküle und erst recht keine chemischen Reaktionen: Erst durch die Fähigkeit von Atomen, sich miteinander zu verbinden, wurden unsere Welt und unser Universum zu dem, was sie heute sind. „Dies ist der Kern aller Chemie – sozusagen der heilige Gral für uns Chemiker“, erklärt Seniorautor Anders Nilsson von der Universität Stockholm und vom SLAC National Accelerator Laboratory in Menlo Park.
Das Unmögliche sichtbar gemacht
Doch der Moment, in dem zwei Atome dazu übergehen, eine gemeinsame Einheit zu bilden, ist extrem flüchtig, das Ganze geschieht in nur Sekundenbruchteilen. „Deshalb hat keiner je damit gerechnet, dass wir eines Tages dazu fähig sein werden, das zu sehen“, sagt Nilsson. Doch in ihren Experiment an der Linac Coherent Light Source (LCLS) ist den Forscher nun das scheinbar Unmögliche gelungen: Sie haben Atome quasi auf frischer Tat ertappt.
Für ihr Experiment nutzten sie einen Ruthenium-Katalysator, dessen Oberfläche Moleküle von Kohlenstoffmonoxid (CO) und einzelne Sauerstoffatome (O) nah beieinander festhält. Ein optischer Laser heizte das Ensemble nun auf rund 2.000 Kelvin auf und brachte die Atome so zum Vibrieren. Diese Energiezufuhr erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Sauerstoff und CO eine Bindung eingehen und zu Kohlendioxid (CO2) reagieren. Ultrakurze Pulse eines Röntgenlasers dienten den Forschern dabei als Kamera – sie fingen spektrale Schnappschüsse der Reaktionspartner ein.
Übergangszustand eingefangen
Und es gelang. Zum ersten Mal konnten die Forscher direkt beobachten, wie eine solche Reaktion im Detail und auf Atomebene abläuft. „Erst werden die Sauerstoffatome aktiviert, ein wenig später folgt das Kohlenmonoxid“, berichtet Nilsson. „Sie beginnen zu vibrieren und bewegen sich ein wenig umher.“ Dann, nach nicht einmal einer Pikosekunde, kollidieren beide Partner und bilden einen Übergangszustand, wie vier abrupte Veränderungen im Röntgenspektrum des Ensembles zeigten.
Im Übergangszustand verändern sich die Orbitale der Bindungselektronen und beginnen, eine erste provisorische Bindung zu bilden. Dabei ist das Sauerstoffatom aber noch sehr viel weiter von seinem Bindungspartner, dem Kohlenstoffatom im CO, entfernt als bei einem fertigen CO2-Molekül.
„Wie bergauf gerollte Murmeln“
Das Überraschende dabei: Von den zahlreichen Reaktionspartnern, die im Experiment diesen Übergangszustand erreichten, schafften nur rund zehn Prozent den Sprung zum echten CO2-Molekül, wie die Forscher berichten. Der Rest trennt sich wieder. „Das ist als wenn man Murmeln einem Hügel hinauf rollt“, erklärt Nilsson. „Die meisten rollen wieder bergab, aber ein kleiner Teil bleibt auf dem Gipfel liegen.“
Dass es gelungen ist, diesen Übergang live zu beobachten, eröffnet ganz neue Möglichkeiten für die Chemie. Denn nun ist es erstmals möglich, grundlegende theoretische Modelle zu überprüfen, so die Forscher. „Was wir hier im Detail tatsächlich sehen, müssen wir erst noch richtig begreifen“, konstatiert der Chemiker. (Science, 2015; doi: 10.1126/science.1261747)
(DOE/SLAC National Accelerator Laboratory, Science, 13.02.2015 – NPO)