Warum greifen wir bevorzugt zu teurem Wein, selbst wenn er schlecht schmeckt? Und warum lassen wir uns von Marken und Preisen täuschen? Den Grund dafür haben Forscher im Gehirn entdeckt: Gleich drei Hirnregionen beeinflussen unsere Erwartungen und Reaktionen auf Dinge wie angeblich teuren Wein und hochwertige Kunstwerke. Das ist nicht allein fürs Marketing, sondern auch für die Medizin bedeutend, so die Forscher im „Journal of Marketing Research“.
Mit einem höheren Kaufpreis verbinden viele Menschen auch bessere Qualität: Ein teurer Wein etwa sollte besser schmecken als ein billiger. Dadurch kann es zu einem Phänomen kommen, dass Wissenschaftler als „Marketingplacebo-Effekt“ bezeichnen: Dasselbe Produkt nehmen wir unterschiedlich wahr, wenn es teurer verkauft und mit einem bekannten Markennamen präsentiert wird.
In einem Experiment steigerten zum Beispiel teurere Energy-Drinks die Konzentration besser als günstigere – obwohl die Teilnehmer in beiden Fällen das gleiche Getränk erhalten hatten. Der Preis erhöht demnach unsere Erwartung an das Produkt. Wie beim Placebo-Effekt in der Medizin hat diese Erwartung eine Wirkung, die durch den tatsächlichen Inhalt nicht zu erklären ist.
Placebos beeinflussen Erwartung, Wahrnehmung und Verhalten
„Marketingplacebos beeinflussen aber nicht nur die Erwartung, sondern auch die Sinneswahrnehmung und unser Verhalten“, sagt Bernd Weber von der Universität Bonn. Allerdings sind nicht alle Menschen gleichermaßen anfällig für solche Effekte. „Warum ist die Anfälligkeit für Marketingplacebos individuell unterschiedlich?“ fragt darum Hilke Plassmann von der INSEAD-Business School im französischen Fontainebleau.
Um diese Frage zu beantworten, führten die Wissenschaftler mehrere Experimente durch. Zunächst ließen sie ihre Probanden identischen Wein verkosten, der aber mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet war. Die Teilnehmer mussten angeben, welcher Wein am besten schmeckte – und wählten wie erwartet eher die Sorten mit angeblich höheren Preisen. Dabei zeichneten die Forscher außerdem mit einem Kernspintomografen auf, wie groß verschiedene Gehirnregionen der Testpersonen waren.
In einem ähnlichen Experiment zeigten die Forscher den Studienteilnehmern abstrakte Gemälde. Ein Teil der Bilder stammte angeblich von dem berühmten Maler Wassily Kandinsky, der Rest sollte von Laien gemalt worden sein. Die Probanden sollten bewerten, welche Bilder ihnen am besten gefielen. Und auch hier schnitten die angeblichen Werke von Kandinsky deutlich besser ab.
Persönlichkeit macht mehr oder weniger anfällig
In den tomographischen Aufzeichnungen fielen den Forschern gleich drei Gehirnbereiche auf, die offenbar eine Rolle spielen: Sind das sogenannte Striatum und Teile des präfrontalen Cortex größer, steigt auch die Anfälligkeit für Marketingplacebo-Effekte. Eine größere Insula macht hingegen weniger empfänglich dafür. Dem Striatum schreiben Hirnforscher Reaktionen auf Belohungen zu. Der präfrontale Cortex steht mit Rationalität in Verbindung, die Insula mit der Wahrnehmung von Körperfunktionen.
Daraus schließen die Forscher, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale die Anfälligkeit für Marketingplacebo-Effekte beeinflussen. Wer aufgrund seiner Hirnstruktur stärker auf Belohnungseffekte reagiert, lässt sich leichter durch Erwartungen stimulieren. Ähnliches gilt für ausgeprägt rational angelegte Personen: Sie denken in etwa „Dieser Wein ist nicht ohne Grund teurer – er muss besser sein.“ Menschen, die dagegen stärker auf ihre Körperwahrnehmung setzen, sind dafür unempfindlicher. Sie achten beim Wein mehr darauf, was sie tatsächlich schmecken, als auf ihre Erwartung.
Erworbenes statt angeborenes Verhalten
Diese Eigenschaften sind jedoch keinesfalls für jeden Menschen vorherbestimmt und festgelegt: „Unsere Ergebnisse bedeuten nicht, dass bestimmte Konsumenten mit einer größeren Anfälligkeit gegen Marketingplacebo-Effekte geboren werden“, betont Plassmann, „sondern dass es sich um eine Konsequenz des Verhaltens in der Vergangenheit handelt.“ Weber ergänzt: „Eine wichtige Frage ist, inwieweit man mit diesen Merkmalen geboren wird und wie sehr sie durch die Umwelt beeinflusst werden.“ Lernprozesse können die Größe einzelner Gehirnregionen und damit deren Einfluss verändern.
Diese Forschungsergebnisse sind nicht allein für das Marketing wichtig. Die Forscher sehen darüber hinaus auch Potenzial für medizinische Fragestellungen. Bestimmte Wirkstoffe gegen Psychosen und Depressionen können als Nebenwirkung zum Beispiel zur Kaufsucht führen. „Der Zusammenhang zwischen der Anfälligkeit für Marketing-Placebo-Effekte, Persönlichkeit und Hirnstruktur könnte hier ein interessanter neuer Erklärungsansatz sein“, führt Weber aus. (Journal of Marketing Research, 2015; doi: 10.1509/jmr.13.0613)
(Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 22.01.2015 – AKR)