Elektronisches Krabbeltier: Der Roboter „Hector“ läuft wie eine Stabheuschrecke. Seine Gangart mit sechs voneinander unabhängig bewegbaren Beinen ist für Roboter bislang einzigartig. Dank der komplexen Steuerung kann der von deutschen Wissenschaftlern entwickelte Hector selbständig über Hindernisse klettern und kommt auch in unwegsamem Gelände zurecht. Und nicht nur Laufen wie ein Insekt kann der Roboter – bald sollen auch Sehen und Fühlen hinzukommen.
Die Natur liefert oft die besten Vorbilder – Wissenschaftler im Bereich der Bionik machen sich dies zunutze und imitieren natürliche Erfolgsmodelle mit technischen Mitteln. Besonders Insekten haben es den Bionikern offenbar angetan: So fliegen etwa Mini-Drohnen nach der Art von Stubenfliegen, und Holzwespen lieferten bereits die Vorlage für einen neuen Bohrer. Wissenschaftler um Axel Schneider von der Universität Bielefeld haben sich für ihren sechsbeinigen Roboter von der Stabheuschrecke inspirieren lassen – allerdings ist „Hector“ mit fast einem Meter rund 20-mal größer als das Insekt.
Antrieb wie mit biologischen Muskeln
Genau wie die Stabheuschrecke hat Hector ein extrem leichtes Außenskelett, das jedoch statt aus Chitin aus kohlefaserverstärktem Kunststoff besteht. Hinzu kommen sogenannte passiv-elastische Gelenke, die den Antrieb des Roboters bilden. „Die Elastizität in Hectors Antrieben ist in ihrer Wirkung vergleichbar mit der von Muskeln in biologischen Systemen“, erklärt Schneider. Der Heuschrecken-Roboter besitzt insgesamt 18 dieser von den Forschern selbst entwickelten Gelenkantriebe, drei davon an jedem Bein. Damit kann er sich beim Laufen flexibel an die jeweilige Beschaffenheit des Bodens anpassen.
„Die Elastizität allein reicht aber nicht aus, damit Hector in einer natürlichen Umgebung mit Hindernissen laufen kann“, so Schneider. Die meisten sechsbeinigen Roboter stehen jeweils auf drei Beinen, während sie die anderen drei Beine vorwärts bewegen. Hector beherrscht diese Gangart ebenfalls, er kann aber noch mehr: Jedes seiner Beine kann sich unabhängig von den anderen bewegen. Das lässt den Roboter auch in kompliziertem Gelände vorankommen.
Reflexe gegen das Stolpern
Die Herausforderung bestand darin, die Bewegungen der einzelnen Beine miteinander zu koordinieren. „Damit der Roboter problemlos läuft, müssen alle Teilsysteme miteinander kommunizieren“, sagt Entwickler Jan Paskarbeit. „Andernfalls kann es passieren, dass Hector zum Beispiel zu viele Beine auf einmal in die Luft hebt und dadurch instabil wird und umfällt.“ Paskarbeit hat deshalb auch eine virtuelle Version von Hector programmiert. Damit kann er experimentelle Steuerungsansätze testen, ohne Hector bei einem eventuellen Fehltritt zu beschädigen.
Damit der Heuschrecken-Roboter nicht ins Stolpern gerät, müssen die Beine außerdem auf Kollisionen mit Hindernissen reagieren können. Auch die Lösung für dieses Problem haben sich die Forscher in der Natur abgeschaut: Hector hat ähnliche Reflexe wie ein Insekt und hebt seine Beine automatisch höher, wenn ein Fuß gegen ein Hindernis prallt.
Bald auch mit Augen und Fühlern
Hector soll künftig als Testplattform dienen, mit deren Hilfe Biologen zusammen mit Robotikern Annahmen über das Laufverhalten von Insekten testen können. Dazu soll der Roboter seine Umgebung nicht nur mit den Beinen erkennen: Derzeit arbeiten die Forscher unter anderem daran, Hectors Kopf ebenfalls nach Vorbild der Insekten mit „Augen“ und „Fühlern“ auszustatten. Ein Prototyp mit zwei seitlichen Kameras und zwei Tastfühlern existiert bereits.
Die Arbeitsbereiche und das Auflösungsvermögen dieser Sensoren sind ebenfalls eng an tierische Vorbilder angelehnt. „Eine große Herausforderung wird es nun sein, diese Fern-Sensoren mit der Sensorik der Körperhaltung und Gelenkregelung effizient zu integrieren“, so Volker Dürr. „Genau für diese Integrationsleistung ist Hector die ideale Forschungsplattform.“
(Universität Bielefeld, 16.12.2014 – AKR)