Erfolgreiche Evolution: Archaeen haben sich maßgeblich durch „Gendiebstahl“ weiter entwickelt. Der sogenannte horizontale Gentransfer spielt bei diesen Mikroorganismen offenbar eine ebenso wichtige Rolle wie die „klassisch-darwinistische“ Evolution. Der Genklau half ihnen, auch unter unwirtlichen Bedingungen zu überleben, wie ein internationales Forscherteam in der Fachzeitschrift „Nature“ berichtet.
Archaeen gehören wie die Bakterien zu den Lebewesen ohne Zellkern. Wegen ihrer mitunter extremen Lebensräume, die an die Bedingungen zur Frühzeit der Erde erinnern, galten sie lange Zeit als „Urbakterien“. Sie unterscheiden sich jedoch in vieler Hinsicht von den Bakterien, und ihr Stoffwechsel ähnelt in mancher Hinsicht eher dem der Eukaryoten, also den Zellen mit Zellkern. Die Archaeen bilden daher die dritte sogenannte Domäne des Lebens.
Eine Gemeinsamkeit zwischen Archaeen und Bakterien ist ihr Umgang mit genetischem Material: Sie geben ihre Erbinformationen sehr freigiebig in die Umwelt ab. Gleichzeitig nehmen sie bedenkenlos auf, was ihnen an Genmaterial in den Weg kommt. Einmal aufgesammeltes Material übernehmen sie in den eigenen Genpool. Wissenschaftler sprechen hier von horizontalem Gentransfer. Wenn diese neu erworbenen Gene im Zuge der natürlichen Selektion ausreichend Vorteile bringen, werden sie auch an die Nachkommen weitergegeben.
Archaeen: Besonders fleißige Gen-Sammler
Ein Team von Bioinformatikern und Mikrobiologen um Peter Schönheit von der Christian-Albrechts-Universität in Kiel hat erforscht, welche Bedeutung der horizontale Gentransfer für die Evolution der Archaeen hat. Dazu verglichen sie die Erbsubstanz von 134 Archaeen-Arten untereinander. Außerdem suchten sie nach Gemeinsamkeiten mit dem Erbgut von über 1.800 Bakterien.
Das überraschende Ergebnis: Einen maßgeblichen Anteil ihres Erbguts nahmen die Archaeen von außen auf. Viele der übernommenen Gene stammen dabei nicht von anderen Archaeen, sondern von Bakterien. Und die Archaeen sind besonders fleißige Gen-Sammler: Während zwar auch Bakterien Erbgut von Archaeen übernehmen können, geschieht dieser Transfer von Bakterien zu Archaeen rund fünfmal häufiger.
Große Sprünge statt minimale Veränderungen
Dies bietet den Archaeen große Vorteile: Durch den genetischen „Diebstahl“ untereinander und mit anderen Arten schaffen sie große Entwicklungssprünge: „Die Archaeen nehmen ganze Genpakete auf, mit denen sie massive Verbesserungen erreichen“, so Schönheit. Dadurch erschließen sie sich neue Nahrungsquellen oder lernen, auch unter unwirtlichen Bedingungen zu überleben.
Für die Evolutionstheorie sind diese Ergebnisse besonders bedeutend: Sie zeigen, dass nicht bei allen Lebewesen die darwinistische Sicht der Evolution allein maßgebend ist. Bei höheren Organismen bis hin zum Menschen ist die Evolution ein extrem langsamer Prozess. Sie verläuft über punktuelle Mutationen und damit verbundene minimale Veränderungen von einer Generation zur nächsten. Bei den Prokaryoten spielt dagegen auch der horizobtale Gentransfer eine erhebliche Rolle. (Nature, 2014; doi: 10.1038/nature13805)
(Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 10.11.2014 – AKR)