Neurobiologie

Geister-Erfahrungen wissenschaftlich erklärt

Widerstreitende Sinneseindrücke erzeugen das Gefühl einer geisterhaften Präsenz

Die verzögerte Berührung erzeugte die Illusion einer geisterhaften Präsenz © Blanke et al./ Current Biology

Reale Illusion: Was steckt hinter „Geistern“ oder dem Gefühl, eine unsichtbare Präsenz sei anwesend? Eine Erklärung könnte jetzt Forscher mit Hilfe einer „wissenschaftlichen Geisterbeschwörung“ gefunden haben. Denn ihr Experiment zeigt, dass unser Gehirn bei widersprüchlichen Informationen mit einer Notlösung reagiert: Es verändert die Körperwahrnehmung und erzeugt die Illusion einer geisterhaften Präsenz, wie die Forscher im Fachmagazin „Current Biology“ berichten.

Die verzögerte Berührung erzeugte die Illusion einer geisterhaften Präsenz© Blanke et al./ Current Biology

„Es war, als ob da noch jemand Unsichtbares anwesend war…“ – Das Gefühl einer geisterhaften Präsenz haben schon einige Menschen erlebt, viele von ihnen so real, dass sie sich von einem Geist besucht fühlen. Gerne wird dies als bloße Halluzination oder Einbildung abgetan, aber Berichte solcher Erfahrungen gibt es aus nahezu allen Kulturen. Aber wodurch diese Illusion einer unsichtbaren Präsenz ausgelöst wird, blieb bisher unklar. Olaf Blanke von der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne und seine Kollegen sind dieser Frage mit einem Experiment nachgegangen.

Roboterarm löst Geistererscheinung aus

Für ihre Studie sollten die Probanden einen Roboterarm vor sich steuern, während sie eine Augenbinde trugen. Die Bewegungen dieses Roboterarms wurden digital auf einen zweiten Roboter übertragen, der hinter den stehenden Probanden positioniert war und ihren Rücken berührte. Diese Berührung vermittelte den Versuchspersonen eine Rückkopplung ihres Handelns: Sie spürten am Rücken, auf welche Weise sie den Roboterarm vor sich steuerten. So weit, so unspektakulär.

Doch dann veränderten die Forscher die Kopplung der beiden Roboterarme so, dass der hintere mit Zeitverzögerung auf die Steuerung reagierte. Und prompt „erschienen die Geister“, wie die Forscher berichten. „30 Prozent der Teilnehmer berichteten spontan, dass sie das Gefühl hatten, jemand Fremdes stünde hinter ihnen“, sagt Blanke. Andere hatten eine Art außerkörperliche Wahrnehmung und meinten, sich selbst hinter dem eigenen Körper zu befinden. Für einige waren diese Eindrücke offenbar so unangenehm, dass sie das Experiment sogar abbrachen.

Unsichtbare Wesen als „Notlösung“ des Gehirns

Nach Ansicht der Forscher erklären diese Beobachtungen, wie das Gefühl einer geisterhaften Präsenz entstehen kann: Durch die Zeitverzögerung empfing das Gehirn der Probanden widersprüchliche Signale von eigener Bewegung und Tastreizen. Dieser Widerspruch versucht das Gehirn aufzulösen, indem es den illusorischen Eindruck einer weiteren Person erzeugt. „Die Teilnehmer hatten dadurch das Gefühl, dass nicht sie selbst durch den Roboterarm diese Berührung am Rücken erzeugten, sondern eine andere Person, die hinter ihnen stand“, erklärt Blanke. Bei anderen veränderte sich die Wahrnehmung des eigenen Körpers, so dass sie glaubten, selbst hinter sich zu stehen.

Diese Notlösung des Gehirns bei sich widersprechenden Wahrnehmungen könnte nach Meinung der Forscher auch bei anderern Sinnesreizen aufteten – und so die Basis für das Gefühl geisterhafter Präsenzen bilden. „Unsere Daten liefern eine wissenschaftliche Erklärung für dieses Phänomen und verbinden diese auf den ersten Blick befremdlich und komplex wirkende Erfahrung mit der ganz grundlegenden Integration sensorischer und motorischer Reize in unser neuronales Netzwerk“, so die Wissenschaftler.

Drei Hirnareale beteiligt

Die Beobachtungen können aber auch erklären, warum Menschen mit Schizophrenie und Patienten, die unter Epilepsie, einen Hirntumor oder anderen Schädigungen des Gehirns leiden, besonders häufig von solchen Geistererfahrungen berichten. Denn als Blanke und seine Kollegen das Gehirn von zwölf solcher Patienten mit Geistererfahrungen näher untersuchten, stellten sie Schäden in drei Hirnarealen fest: Dem tempoparietalen Cortex, der Insula und vor allem dem frontoparietalen Cortex.

Alle drei sind an der Verarbeitung räumlicher Informationen und von Sinnesreizen beteiligt. Sind sie beschädigt, dann kann dies offenbar auch ohne Roboterarm oder Zeitverzögerung zu widersprüchlichen Informationen im Gehirn führen oder zumindest die Verarbeitung von Reizen so stören, dass wir meinen, geisterhafte Erscheinungen wahrzunehmen. (Current Biology, 2014; doi: 10.1016/j.cub.2014.09.049)

(Cell Press, 07.11.2014 – NPO)

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