Neurobiologie

Wie die Puppenhand zum Körperteil wird

Neurologen erforschen Gehirnaktivitäten während der "Puppenhand-Illusion"

Bei widersprüchlichen Sinneseindrücken kann das Gehirn eine künstliche Hand für die eigene halten. © freeimages

Welches Körperteil gehört zu mir? Mit der Puppenhand-Illusion lässt sich Versuchspersonen vorgaukeln, eine künstliche Hand wäre die eigene. Deutsche und britische Neurologen haben nun aufgeklärt, mit welchen Hirnprozessen diese Täuschung zustande kommt und wie das Gehirn auf widersprüchliche Informationen reagiert. Ergebnis: Das Gehirn macht es sich leicht.

Es ist eine gespenstische Vorstellung: Menschen sehen einen künstlichen Arm vor sich auf dem Tisch liegen und wissen ganz genau, dass es sich um einen künstlichen Arm handelt. Trotzdem haben sie das Gefühl, es handele sich um ihren eigenen Arm. Ihr Gehirn gaukelt ihnen quasi vor, der künstliche Arm sei Teil ihres Körpers – auch wenn es vom Verstand her weiß, dass dem nicht so ist.

Unter dem Namen Puppenhand-Illusion ist dieses Experiment mittlerweile in die Literatur eingegangen. Seit der Effekt 1998 für Aufruhr sorgte, hat er Neurologen in verschiedenen Variationen fasziniert.

Die Puppenhand-Illusion

In dem Experiment legt die Versuchsperson ihre rechte Hand auf einen Tisch. Wissenschaftler verdecken diese Hand und legen eine künstliche, aber realistisch wirkende Hand daneben. Anschließend streicheln sie mit einem Pinsel oder einer Bürste im gleichen Rhythmus sowohl die verdeckte, echte Hand als auch die sichtbare, unechte. Nach kurzer Zeit hat der Großteil der Versuchspersonen das Gefühl, die künstliche Hand sei Teil ihres Körpers.

Wissenschaftler um Daniel Zeller von der Universität Würzburg haben diese Prozesse darum nun genauer untersucht. „Wir sind der Frage nachgegangen, wie das Gehirn Widersprüche zwischen verschiedenen Sinneseindrücken verarbeitet beziehungsweise auflöst“, erklärt Neurologe Zeller.

Denn offensichtlich ist es ein Widerspruch: Einerseits empfängt das Gehirn Berührungsreize der eigenen Hand, andererseits das Bild der gestreichelten Puppenhand. Beide Sinnesinformationen stehen im Zusammenhang und werden von Gehirn zu einem Gesamteindruck zusammengeführt. Dabei hat die Wissenschaftler vor allem interessiert, welche Regionen der Großhirnrinde damit beschäftigt sind, den falschen Eindruck entstehen zu lassen und wie sie dabei vorgehen.

Drei unterschiedliche Versuchsaufbauten

Dazu haben die Wissenschaftler ihre Versuchspersonen drei unterschiedlichen Varianten des Puppenhand-Experiments ausgesetzt: Der erste Fall glich dem klassischen Szenario mit der verdeckten eigenen Hand und einer künstlichen Hand an vergleichbarer Position, die synchron mit Pinseln gestreichelt wurden. Die zweite Variante war identisch aufgebaut – allerdings lag die künstliche Hand dabei umgedreht vor den Probanden. In diesem Fall zeigte also nicht, wie bei der eigenen Hand, der Handrücken nach oben, sondern die Handfläche. Auch dabei kamen zwei Pinsel zum Einsatz. Variante Drei verzichtete ganz auf die künstliche Hand. In diesem Experiment wurde allein die Hand der Versuchsteilnehmer mit dem Pinsel gestreichelt; der täuschende Eindruck der Puppenhand fiel weg.

Mit Hilfe eines Elektroenzephalogramms (EEG) zeichneten die Forscher während der Versuche die Hirnströme der Teilnehmer auf und untersuchten, welche Gebiete wann vermehrt aktiv waren. Daraus konnten sie Schlüsse ziehen, wie das menschliche Gehirn vorgeht, um widersprüchliche Sinneneindrücke zu verarbeiten. Wenn die Probanden bestätigten, dass die Puppenhand-Illusion bei ihnen ausgelöst wurde, zeigten sich im EEG charakteristische Muster. Diese lassen sich so interpretieren, dass das Gehirn störende Informationen aktiv unterdrückt, wenn es mit zwei gegensätzlichen Theorien konfrontiert wird.

Plausibel, aber unwahrscheinlich

„Im Fall der Puppenhand-Illusion könnte das Gehirn zu dem Schluss kommen: Die sichtbare Hand ist aus Plastik und wird in dem gleichen Rhythmus berührt wie meine eigene. Eine Erklärung, die zwar plausibel ist, aber sehr unwahrscheinlich“, erklärt Erstautor Zeller. Die konkurrierende Theorie hingegen sagt: „Ich fühle die Pinselstriche an der zu sehenden Hand – also ist sie meine.“ Diese Theorie ist für das Gehirn viel einfacher zu verarbeiten, auch wenn sie nicht ganz mit dem Empfinden der Armposition übereinstimmt.

Diese Abweichung korrigiert das Gehirn schließlich: Es dreht gewissermaßen an der Stellschraube seiner sensorischen Präzision und variiert damit seine Aufmerksamkeit. Wenn es auf diese Weise den Eindruck der Armposition vermindert, verschwindet auch der Widerspruch zwischen den Informationen, die das Auge übermittelt, und denjenigen der Armposition.

(Journal of Cognitive Neuroscience, 2014; doi: 10.1162/jocn_a_00705)

(Julius-Maximilians-Universität Würzburg, 24.09.2014 – AKR)

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