Ausnahme-Asteroid mit erdähnlichem Aufbau: Daten der Raumsonde „Dawn“ zeichnen ein überraschendes Bild des Asteroiden Vesta. Seine Kruste ist fast dreimal dicker als angenommen, berichten Planetenforscher im Magazin „Nature“. Dieses Ergebnis könnte auch ein neues Modell zur Entstehung aller Gesteinsplaneten, einschließlich der Erde, erfordern.
Der Asteroid Vesta ist mit einem Durchmesser von etwas über 500 Kilometern das drittgrößte Objekt im Asteroidenhauptgürtel zwischen Mars und Jupiter. Übertroffen wird Vesta nur vom Zwergplaneten Ceres und dem Asteroiden Pallas. Vesta ist für Astronomen jedoch besonders interessant: Dieser Asteroid ist der einzige bekannte mit einem erdähnlichen Aufbau aus einem Eisen-Nickel-Kern, darüber liegendem Gesteinsmantel und schließlich einer Kruste.
Forschungslabor der Planetenbildung
Dies macht Vesta zu einem interessanten Forschungsobjekt: Nach heutigem Wissensstand bildeten sich die Gesteinsplaneten, zu denen auch die Erde gehört, aus sogenannten Protoplaneten. Diese sammelten bei Zusammenstößen mit anderen Gesteinsbrocken mehr und mehr Material auf, das durch die Wucht der Einschläge und die zunehmende Masse schließlich zum Planeten zusammenschmolz. Viele Asteroiden sind, so die Vorstellung, „ungeschluckte“ Brocken aus dieser Zeit. Vesta hingegen gilt wegen des erdähnlichen Aufbaus gewissermaßen als Labor der Planetenbildung.
Aus diesem Grund schickte die NASA die Raumsonde „Dawn“, die Vesta von 2011 bis 2012 umkreiste. Eine Analyse der Dawn-Daten bringt nun Ergebnisse, die gängige Modelle zur Entstehung der Gesteinsplaneten zumindest erweitert, wenn nicht gar teilweise in Frage stellt: Planetenforscher um Harold Clenet von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) kommen zu der Ansicht, dass Vestas Kruste viel dicker ist als bisher angenommen. Der Mantel ist dagegen deutlich dünner.
Fehlendes Puzzleteil Olivin
Der entscheidende Hinweis stammt von zwei riesigen Kratern auf Vestas Oberfläche: Zwei Meteoriten schlugen dort mit solcher Wucht ein, dass sie die Kruste des Asteroiden bis zu 80 Kilometer tief aufrissen. Das galt bisher als tief genug, um die Kruste zu durchschlagen und in den Mantel vorzustoßen. Ein wichtiges Puzzleteil in diesem Szenario konnte Dawn jedoch nicht auffinden: „Auffällig ist das Fehlen eines bestimmten Minerals, Olivin, auf der Oberfläche des Asteroiden“, erklärt Erstautor Clenet. Olivin ist ein Hauptbestandteil des Mantels von Gesteinsplaneten.
„Wir gingen von einer Krustendicke von 30 Kilometern aus“, erklärt Martin Jutzi vom Center for Space and Habitability in Bern. „Dass aber kein Olivin aus der darunterliegenden Mantelschicht vorhanden ist, zeigt, dass die Meteoriten die Kruste trotz ihrer Einschlagstiefe von 80 Kilometern nicht durchdringen konnten und diese also viel dicker sein muss als angenommen.“ Ein Vergleich der Dawn-Daten mit einer von Jutzi erstellten Computersimulation der Meteoriteneinschläge machte das Fehlen des Olivins erst deutlich.
Auch Meteoritenfunde auf der Erde stützen dieses Ergebnis: Die Einschläge auf Vesta waren so gewaltig, dass der Asteroid als Ursprungsort von geschätzten fünf Prozent der auf der Erde niedergehenden Meteoriten gilt. Auch diese enthalten die typischen Krustenmaterialien, aber praktisch kein Olivin.
Komplexeres Modell der Planetenbildung erforderlich?
Wenn die Kruste des Asteroiden aber statt 30 Kilometern über 80 Kilometer dick ist, muss sie auch anders zusammengesetzt sein, um die Masse des Asteroiden erklären zu können. Die Wissenschaftler nehmen an, dass durch frühe vulkanische Aktivität auf dem Asteroiden gewissermaßen Blasen anderen Gesteins in die Kruste aufgestiegen sind und diese verstärkten.
Auch für die Entstehungsgeschichte der Erde, aber auch der anderen Gesteinsplaneten Merkur, Venus und Mars, sollten solche Prozesse beim Abkühlen und erneuten Aufschmelzen des Materials, wie auch die veränderten Verhältnisse zwischen Mantel und Kruste, berücksichtigt werden, so die Planetologen. Ihnen zufolge sollte ein neues, komplexeres Modell für die Entstehung der Planeten nicht nur die ursprüngliche Zusammensetzung, sondern auch Faktoren wie Größe, Umlaufbahn und davon abhängende Abkühlphasen berücksichtigen.
(EPFL, 17.07.2014 – AKR)