Bizarre Quantenmechanik: Elektronen können theoretisch an mehreren Orten zugleich sein. Einem internationalen Forscherteam ist es erstmals gelungen, diese Vorhersage im Experiment tatsächlich zu bestätigen. Dabei mussten sie ein grundlegendes Problem der Quantenmechanik überwinden: Wie weist man gleich zwei Aufenthaltsorte eines Elektrons nach, dessen Aufenthaltsort prinzipiell unbestimmbar ist?
Die Quantenmechanik sorgt oft für faszinierende, aber mitunter schwer verständliche Phänomene. Elektronen, so die geläufige Theorie, lassen sich in ihrem Aufenthaltsort nicht genau bestimmen und nicht individuell unterscheiden. Andererseits besagt die Quantenmechanik aber auch, dass Elektronen sich mitunter an zwei Orten gleichzeitig aufhalten können. „Vermutet hat man dieses für den Laien schwer verständliche Verhalten schon lange“, erläutert Arno Ehresmann von der Universität Kassel.
In einem einfachen Molekül aus zwei gleichen Atomen, wie etwa dem Sauerstoffmolekül O2, kreisen einige Elektronen sehr dicht um die beiden Atomkerne. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, so besagen die Regeln der Quantenmechanik, befindet sich ein Elektron dabei gleichzeitig in der Nähe sowohl des einen als auch des anderen Atomkerns im Molekül: Es ist also an zwei Orten zugleich. Bloß, wie weist man dies nach?
Einsteins Weg aus dem Dilemma
Einen Weg aus diesem Dilemma liefert der bereits von Albert Einstein beschriebene Photoeffekt: Licht mit ausreichender Energie kann ein Elektron aus der Bindung zwischen zwei Atomen entfernen. Trifft ein Photon ein Elektron hart genug, tritt es seine Energie ab und schlägt das Elektron förmlich aus dem Molekül heraus.
Der Trick der Wissenschaftler bestand nun darin, die Elektronen nicht als Teilchen, sondern als Wellen zu betrachten und zu messen – denn ähnlich wie Lichtteilchen können auch sie Merkmale von Teilchen und Wellen zugleich aufweisen. In ihrem Versuch beschossen die Wissenschaftler um Ehresmann Sauerstoffmoleküle mit Synchrotronstrahlung. Diese löst durch den Photoeffekt einzelne Elektronen aus den Molekülen. Die Energie und die Flugbahnen der freiwerdenden Elektronen lassen sich mit einem Elektronenspektrometer vermessen.
Befand sich nun das herausgeschlagene Elektron zuvor an zwei Orten gleichzeitig, so müsste der Theorie nach auch seine Welle zweigeteilt sein. Dies müsste in der Messanordnung ein charakterisches Muster von überlagerten Wellen erzeugen.
Charakteristisches Muster nachgewiesen
Genau dieses Muster, die sogenannte Interferenz, haben Ehresmann und seine Kollegen nun zum ersten Mal beobachtet: „In umfangreichen Versuchen haben wir an Elektronen von Sauerstoff-Molekülen die zum Beweis dieser Aussage charakteristischen Oszillationen nachgewiesen“, sagt der Physiker.
„Dieses Experiment legt einen Grundstein für das Verständnis der Quantenmechanik, die uns wie so oft mehr Fragen als Antworten gibt“, ergänzt Koautor André Knie von der Universität Kassel. „Besonders die Dynamik der Elektronen ist ein Feld der Quantenmechanik, das zwar schon seit 100 Jahren untersucht wird, aber immer wieder neue und verblüffende Einsichten in unsere Natur ermöglicht.“ (Physical Review Letters, 2014; doi: 10.1103/PhysRevLett.112.023001)
(Universität Kassel, 30.06.2014 – AKR)