Raumfahrt

Interview: „Schwebend auf die Erde blicken“

ESA-Astronaut Alexander Gerst erzählt von seinen Erfahrungen und Erwartungen

ESA-Astronaut Alexander Gerst beim Training © ESA

Hat man vor dem Start ins All Angst? Wie sieht der Tagesablauf an Bord der Raumstation ISS aus? Und was fasziniert im Orbit am meisten? Diese und andere Fragen zu sich und seiner Mission beantwortet der deutsche ESA-Astronaut Alexander Gerst kurz vor seinem Start in unserem Interivew.

In Star City bei Moskau hat er sich im ehemaligen Büro von Juri Gagarin, dem ersten Menschen im All, ins Gästebuch eingetragen. Er hat in der Allee der Kosmonauten in Kasachstan einen Baum gepflanzt, wie es vor ihm schon unzählige Astronauten von Juri Gagarin über Sigmund Jähn bis hin zu Reinhold Ewald getan haben. Alle erfolgsbringenden Rituale, bevor es in den Weltraum geht, sind erfüllt worden: Der Deutsche Alexander Gerst steht kurz vor seinem Start zur Internationalen Raumstation. Im Interview erzählt er unter anderem, mit welchen Gefühlen er ins All startet und was er am meisten vermissen wird.

Der Start steht kurz bevor – gibt es da auch schon mal Momente der Angst?

Gerst: Angst ist etwas, was man entwickelt, wenn man das Gefühl hat, die Kontrolle zu verlieren. Deswegen hat die Crew trainiert. Wir sind auf alles vorbereitet, wissen, was zu tun ist, wenn etwas nicht funktioniert und haben einen Plan B und einen Plan C. Damit vermeidet man das Gefühl der Angst. Eigentlich ist man auch zu beschäftigt, daran zu denken. Ich habe aber Respekt vor Start und Landung, und auch vor der Zeit im Weltraum.

Da muss man ehrlich sein: Es ist nicht ganz ungefährlich, in den Weltraum zu fliegen. Wir arbeiten an der Grenze der Technologie, wir machen etwas Neues, wir betreiben Exploration – und das war noch nie ungefährlich. Dieses Risiko gehen wir bewusst ein, es ist nicht allzu hoch, aber es ist da. Bei einem Start mit der Rakete sitzt man auf 300 Tonnen Treibstoff und 26 Millionen PS gehen unter uns an.

Wann wurde Ihnen so richtig bewusst, dass Ihr Flug ins All näher rückt und Realität wird?

Die Crew der Mission beim Pflanzen eines Baumes; NSA-Astronaut Reid Wiseman, Kosmonaut Maxim Suraev und Alexander Gerst. © ESA

Im November 2013 gehörte ich zur Backup-Crew für die Mannschaft, die sechs Monate vor mir gestartet ist. Man lebt in Baikonur mit der Mannschaft gemeinsam, hat noch einmal Trainingsklassen zusammen, und dann sieht man die Haupt-Crew in die Rakete steigen und ist bis zum Schluss dabei. Man hilft ihnen, wenn sie ihren Raumanzug anziehen und trägt ihre Sachen mit zur Rakete. Und dann steht man direkt neben der Rakete und sieht sie in der Sojus-Kapsel sitzen. Das ist der Moment, wo es für mich ganz real wurde: In einem halben Jahr sitzt Du auf diesem Ding. Ich wäre am liebsten da schon mitgeflogen, wenn noch ein Platz frei gewesen wäre in der Rakete.

Sie haben 2009 mit Ihrer Ausbildung begonnen, haben Ihren Beruf als Geophysiker aufgegeben und Ihr Leben nach dem extrem anspruchsvollen, dicht gepackten Trainingsplan ausgerichtet. Gab es in den letzten viereinhalb Jahren auch zeitweise Zweifel, ob der Beruf der richtige ist?

Ich wusste immer: Astronaut zu sein, das wäre mein Traumberuf. Mir war immer klar, dass dieser Beruf es wert wäre, durch viele Anstrengungen zu gehen, wie es auch jetzt der Fall war. Obwohl wir in drei Monaten Russisch lernen mussten, obwohl wir uns bei Überlebenstrainings ohne Essen durch den Wald schlagen mussten oder im Wasser ausgesetzt wurden – trotz all diesen Dingen gab es nicht eine einzige Sekunde, in der ich meine Entscheidung bereut hätte. Es ist für mich selbst erstaunlich, dass nie ein Zweifel daran aufkam bei mir.

Sie werden rund 100 Experimente aus so unterschiedlichen Bereichen wie Biologie, Materialphysik oder auch der Raumfahrtmedizin durchführen. Gibt es dabei Experimente, die Ihnen besonders gut gefallen?

Besonders freue ich mich auf den Elektromagnetischen Levitator, der zum größten Teil in Deutschland gebaut wurde. Den werde ich mit dem europäischen Transporter ATV in Empfang nehmen, ins Columbus-Labor transportieren und dort aufbauen. Eine langwierige Operation! Ich werde diesen Schmelzofen für neue Legierungen erstmals in Betrieb nehmen und testen. Diese Daten helfen uns auf der Erde, neue Materialien zu entwickeln. Zum Beispiel für Flugzeug-Triebwerke, die leichter sind, weniger Treibstoff verbrauchen und weniger schädliche Stoffe verursachen. Das freut mich, dass ich mit meinen Händen daran mitarbeiten kann, dass es uns besser geht auf der Erde.

Wie wird Ihr Tagesablauf auf der Raumstation aussehen?

Man steht morgens um 6.30 Uhr auf, hat eine Stunde Zeit für sich, um sich zu waschen, zu frühstücken, und um 7.30 Uhr hat man die erste Konferenz mit der Bodenstation. Da bespricht man zum Beispiel kurzfristige Änderungen, die noch nicht in den Prozeduren, den Plänen, stehen. Man arbeitet, hat eine Mittagspause und macht täglich zwei Stunden Sport. Bis abends um 19 Uhr hat man Schicht. Dann kommt noch eine Besprechung mit der Bodenstation, man schaut noch ein paar Abläufe für den nächsten Tag an und sammelt Werkzeuge ein, die man brauchen wird.

Dann ist schon Abendessenszeit, und man hat noch eine Stunde Zeit für sich, bevor man schlafen geht. Eines der wichtigsten Dinge in meiner Freizeit wird der Blick nach Außen sein und davon Fotos aufzunehmen. Vielleicht höre ich noch Musik. Ich schreibe auf jeden Fall Tagebuch, um die Eindrücke zu konservieren. Unser Gedächtnis ist ja leider so, dass alles sehr schnell verblasst.

Was macht für Sie die Faszination Raumfahrt aus?

Wir dringen in eine vollkommen neue „un-intuitiven“ Umgebung vor. Letztendlich sind wir immer noch die erste Welle von Entdeckern, die seit 50 Jahren in diese neue Umgebung vorstoßen, wo vorher noch niemand war. Eine Welt, die eigentlich lebensfeindlich ist, aber wir haben einen Weg gefunden, dorthin zu fliegen, zu überleben und dort als Mannschaft der ISS einen Außenposten der Menschheit zu haben. Das ist eine faszinierende Vorstellung, dass wir dort oben die einzigen Menschen sind, die von außen auf die Erde schauen.

Die letzten zwei Wochen vor dem Start haben Sie schon in Baikonur verbracht. Wie ist die Atmosphäre dort?

Baikonur ist ein sehr traditioneller Ort. Wir starten von derselben Rampe, von der auch schon Juri Gagarin gestartet ist. Selbst das ist schon ein riesiges Privileg. Davon ist auch der gesamte Weltraumbahnhof geprägt: Einen Tag vor dem Start guckt man gemeinsam den Film „Die weiße Sonne der Wüste“, ein alter russischer Film, den sich eine Crew angeschaut hat, die nach dem Unglück von Sojus 11 erfolgreich startet. Seitdem gucken alle Mannschaften vor dem Start diesen Film. Man pflanzt einen Baum, der dann in einer Reihe steht mit denen anderer Astronauten. Ich habe schon den Baum von Sigmund Jähn gesehen. Es ist schön, das anzusehen und auch Teil dieser Tradition zu werden.

Denken Sie, dass der Flug ins All Sie verändern wird?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass man nicht in den Weltraum fliegen kann, ohne dass es einen verändert. Jeder wächst auf mit dem Gefühl, dass die Welt unendlich ist. Wenn man die Erde von außen sieht, hat das auf jeden Fall Potenzial, einen umzuhauen. Man sieht: Die Erde ist wirklich nur eine Kugel aus Stein mit einer hauchdünnen Atmosphäre, die einmal im Jahr um die Sonne fliegt. Und das ist alles, was wir haben, was uns Leben ermöglicht – und wir gehen nicht gut mit der Erde um. Wenn ich auf der Raumstation nachts in die Aussichtskuppel schwebe und auf die Erde blicke, auf Orte, die ich kenne, wo ich aufgewachsen bin, wo Freunde von mir leben, ist es unmöglich, dies zu sehen, ohne dass es einen verändert.

Und was werden Sie in Ihrer Zeit in der Raumstation am meisten vermissen?

Am meisten wird es mir fehlen, im Regen joggen zu gehen. Es mag sich verrückt anhören, aber das ist etwas, war mir sehr viel Spaß bereitet. Das werde ich in den sechs Monaten auf der ISS vermissen. Und natürlich eine Dusche.

(Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) / Manuela Braun, 28.05.2014 – NPO)

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