3D-Bild des Gehirns mit einem einzigen Schnappschuss: Wissenschaftler aus Österreich und den USA haben eine Methode entwickelt, mit der erstmals die gesamte neuronale Aktivität eines lebenden Organismus auf einmal erfasst werden kann. Damit lässt sich auch das Zusammenspiel einzelner Zellen in diesen Netzwerken erforschen, wie die Forscher im Magazin „Nature Methods“ beschreiben.
Unser Gehirn ist zu der phänomenalen Leistung imstande, alle Sinneseindrücke aufzunehmen, zu verarbeiten und uns daraus einen Gesamteindruck der Welt um uns herum zu liefern. Wie genau das Denkorgan dies anstellt, ist jedoch immer noch weitgehend unklar – bislang fehlen die nötigen Technologien für detaillierte Messungen.
Gehirnströme sind zwar messbar, damit lassen sich jedoch nur Aktivitäten in bestimmten Bereichen des Gehirns beobachten. Auch lassen sich einzelne Neuronen mit Hilfe fluoreszierender Proteine in genetisch veränderten Organismen sichtbar machen. Umgekehrt können bildgebende Verfahren zwar die Aktivität in neuronalen Netzwerken abbilden, aber nicht bis auf die Ebene einer einzelnen Zelle hinunter.
Gehirnaktivität in bisher unerreichter Auflösung
Genau dies ist einem Team von Wissenschaftlern um den Physiker Alipasha Vaziri vom Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie in Wien nun gelungen. Mit einer neuen Mikroskopie-Technik ist es möglich, die Nervenzell-Aktivität des gesamten Gehirns bei Fadenwürmern und Zebrafischen detaillierter als je zuvor abzubilden.
Herzstück der Technik ist ein münzgroßer Chip mit zehntausend Mikrolinsen. Damit wird das Tier in einer einzigen Aufnahme jeweils aus unterschiedlichen Winkeln gleichzeitig abgebildet. Ein Computer-Algorithmus rekonstruiert die räumliche Position des Lebewesens und seiner Nervenstruktur aus dieser Winkelinformation. Aus einzelnen Bildern werden damit dreidimensionale Daten rekonstruiert.
„Genau diese Möglichkeit ist unabdingbar, um zu verstehen, wie die beachtlichen Leistungen des Gehirns bei der Verarbeitung von Sinnesreizen oder der Planung von Bewegungsabläufen zustande kommen“, betont Vaziri. „Der Grund dafür liegt in der enormen Dichte der Vernetzung von Nervenzellen im Gehirn. Dadurch tragen einzelne Neuronen meist keine Information, sie ist vielmehr im Zustand des gesamten Systems kodiert.“
3D-Information aus nur einem Bild
„Bisher musste man räumliche Objekte punktweise abtasten, nun ersparen wir uns das Scannen in mehreren Ebenen“, erklärt Robert Prevedel, einer der Erstautoren der Studie. „Wir können mit einem einzigen Bild ohne jegliches mechanisches Scanning den gesamten Raum aufnehmen.“ Der Zustand des untersuchten Netzwerks aus Nervenzellen wird auf einen Schlag erfasst, zahlreiche Bilder hintereinander liefern eine Filmaufnahme der Hirnaktivitäten. Die zeitliche Auflösung ist damit wesentlich höher als bei bisherigen Methoden. Außerdem lassen sich wesentlich größere Ausschnitte als zuvor effektiv untersuchen.
Erfolgreich angewandt haben die Forscher ihre Methode bisher bei Fadenwürmern und Zebrafischlarven, die als Modellorganismen weit verbreitet sind. Das Nervensystem des Fadenwurms C. elegans besteht aus nur rund 300 Neuronen. Mit ihrer neuen Technologie konnten die Wissenschaftler nicht nur die Aktivität des Gehirns erfassen, sondern auch alle anderen Nervenverbindungen, etwa zu den Muskeln.
Simultane Aktivität von 100.000 Nervenzellen
Der Zebrafisch ist schon komplizierter: Das Gehirn der Larven umfasst etwa 100.000 Nervenzellen. Wie beim Menschen feuern sie Nervenpulse im Millisekunden-Bereich. Die Forscher stimulierten rund 500 Nervenzellen im Riechorgan der Larven mit vergorener Fischbrühe – ein äußerst abstoßendes Aroma für diese Tiere. Gleichzeitig erfassten sie simultan die Gesamtaktivität des Gehirns. Sie konnten dabei Aktivität in über 5.000 Nervenzellen im Gehirn feststellen, die – vom Riechorgan ausgehend -Nervensignale erhielten.
„Im Vergleich zu den Würmern finden wir beim Zebrafisch Verhältnisse vor, die denjenigen beim Menschen stärker ähneln“, kommentiert Vaziri den entscheidenden Fortschritt. „Wir hoffen daher, mit unserer Methode eines Tages zu verstehen, wie das Gehirn Informationen repräsentiert und diese verarbeitet, um Entscheidungen zu treffen. Letztlich wollen wir damit den vom Gehirn benutzten Algorithmen auf die Spur kommen.“ Rechenmodelle aus solchen Algorithmen könnten sich dann zukünftig auch auf lernfähige Maschinen lassen. Die Gehirnprozesse liefern dann die direkte Vorlage für künstliche Intelligenz.
(Nature Methods, 2014; doi: 10.1038/nmeth.2964)
(IMP – Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie GmbH, 19.05.2014 – AKR)