Medizin

Amöbenruhr: Tödliche Bisse im Darm

Winzige Amöben fressen sich Biss für Biss durch die Darmschleimhaut

Entamoeba histolytica (lila) beißt ein Stück aus einer Darmzelle heraus © Katy Ralston

Krieg im Darm: Sind wir an Amöbenruhr erkrankt, dann zerstören winzige Amöben unsere Darmschleimhaut. Wie, haben Forscher mit Hilfe eines Spezialmikroskops erstmals live beobachtet: Die Amöben beißen einfach Stücke aus den Darmzellen heraus und verschlingen sie – bei lebendigem Leib. Dieses Verhalten ist nicht nur einmalig für Parasiten, es könnte auch einen neuen Ansatzpunkt für Therapien bieten, so die Forscher im Fachmagazin „Nature“.

Bauchschmerzen, Fieber, Krämpfe und schwerer, teilweise blutiger Durchfall – Amöbenruhr ist keine Bagatelle. Doch in den Tropen gehört diese Infektionskrankheit oft zum Alltag, vor allem dort, wo es keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser gibt. Über verseuchtes Wasser, aber auch durch ungeschältes Obst und rohes Gemüse gelangt der Erreger, die Amöbe Entamoeba histolytica, in den Darm der Betroffenen. Dort vermehrt sie sich und kann die Durchfälle auslösen. Wird dies nicht behandelt, kann die Amöbenruhr sich auch auf andere Organe ausbreiten und Geschwüre verursachen, im Extremfall sogar zum Tod führen.

Live beim Angriff beobachtet

Klar war bisher, dass die Amöben die Darmschleimhaut angreifen und sie im Laufe der Zeit der Zeit zerstören. Man nahm aber an, dass die Parasiten die Zellen durch Gift abtöten und dann erst ihre Überreste in sich aufnehmen. Katherine Ralston von der University of Virginia und ihre Kollegen haben dies nun überprüft – indem sie die Parasiten erstmals live beim Fressen beobachteten. Sie gaben dazu Entamoeba histolytica zu Zellkulturen mit menschlichen Schleimhautzellen und filmten mit einem Spezialmikroskop, was geschah.

„Überraschenderweise stellten wir fest, dass die Amöbe unmittelbar nach Kontakt mit der menschlichen Zelle begann, Teile ihrer Membran in sich aufzunehmen“, berichten die Forscher. Im Rahmen dieser sogenannte Troglocytose bissen die Amöben nach und nach richtige Stücke aus der lebenden Zelle heraus und nahmen sie in sich auf.

Entamoeba histolytica-Amöben in einem Mäusedarm © Katy Ralston and David Zemo

Biss für Biss zum Zelltod

Und noch etwas beobachteten die Wissenschaftler: Hatte eine Amöbe einmal ein Stück Zelle verschlungen, schien dies ihren Hunger nach mehr sogar noch anzustacheln. Für die Schleimhautzellen ist dies fatal: Werden ihnen nur wenige Teile der Membran herausgebissen, könne sie dies noch kompensieren: „Die Verdauung von nur einem Fragment reicht nicht aus, um sie zu töten“, erklären die Forscher.

Aber wie die Versuche zeigten, gibt es dabei eine Toleranzschwelle. Wird diese überschritten, weil die Amöben zu oft zugebissen haben, stirbt die Zelle ab. Ist eine Zelle aber schon tot, dann wird sie von den Amöben sogar verschmäht, wie Ansätze mit zuvor abgetöteten Schleimhautzellen ergaben. Nach Ansicht von Ralston und ihren Kollegen könnte dies darauf hindeuten, dass es den Amöben nicht ums Fressen geht, wenn sie die Zellen angreifen.

Dies erklärt auch, warum die Amöbenruhr bei einigen Menschen lange ohne Symptome verläuft: Die Amöben fressen bei ihnen vorwiegend Bakterien der Darmflora und vermehren sich in dieser Zeit, ohne dessen Wände anzugreifen. Der Angriff auf die Schleimhaut könnte stattdessen eine simple Maßnahme sein, um Barrieren aus dem Weg zu schaffen. „Die Troglocytose senkt die Gewebedichte und schafft den Amöben Raum für ihre Migration“, so die Forscher. Gleichzeitig könnte das Aufnehmen von Zellstücken den Parasiten dabei helfen, ihre Umwelt zu prüfen.

Hoffnung auf neue Wirkstoffe

Die neuen Erkenntnisse werfen nicht nur ein neues Licht auf das ungewöhnliche Verhalten der krankmachenden Amöben. Sie liefern auch neue Ansatzstellen für eine Behandlung der Amöbenruhr. Denn in ihren Versuchen fanden die Forscher auch zwei Subtanzen, die die Beisslust der Amöben hemmten.

„Die Behandlung mit Wortmannin oder Cytochalasin D blockierte die Gewebeinvasion der Amöben“, berichten sie. Verfolgt man dieser Strategie weiter, könnte auf dieser Basis ein neuer Wirkstoff gegen die Infektion entwickelt werden. Für viele Bewohner armer Regionen der Tropen wäre das eine gute Nachricht – vorausgesetzt sie hätten eine Chance, diesen Wirkstoff dann zu erhalten. (Nature, 2014; doi: 10.1038/nature13242)

(Nature / Stanford University, 10.04.2014 – NPO)

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