Todeszonen am Meeresgrund: In den tiefen Regionen der Ostsee breiten sich Gebiete aus, in denen das Wasser kaum noch Sauerstoff enthält und kein höheres Leben mehr möglich ist. Skandinavischen Forschern zufolge hat diese ökologische Katastrophe in den letzten 100 Jahren erschreckende Ausmaße angenommen. In ihrer Studie im Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ nennen sie auch die Ursachen: Überdüngung und Klimaerwärmung.
Die tiefen Wasserschichten der Ostsee sind ein empfindlicher Lebensraum: Sauerstoff war hier schon immer Mangelware. Denn frisches Tiefenwasser strömt nur über wenige Zugänge in diesen Ozean und aufragende Rippen am Meeresgrund versperren diesem vielerorts den Weg. Hinzu kommt: Über den Senken mit dem sauerstoffarmen Tiefenwasser blockiert eine weniger salzige Wasserschicht den Austausch mit der Oberfläche. Bleiben diese Zonen klein, können Lebewesen ihnen ausweichen. Denn überleben können in diesen „Todeszonen“ meist nur noch Bakterien.
Wissenschaftler aus Dänemark und Schweden haben nun diese lebensfeindlichen Zonen am Ostseeboden genauer untersucht und ihre Entwicklung verfolgt. Sie kommen zu einem alarmierenden Ergebnis: In nur etwas mehr als hundert Jahren hat sich die Größe der Gebiete extremen Sauerstoffmangels mehr als verzehnfacht. Waren es um das Jahr 1900 noch rund 5.000 Quadratkilometer, so handelt es sich nun schon um eine tote Fläche von 60.000 Quadratkilometern. Das ist eineinhalb Mal so groß wie die Landfläche von Dänemark.
Nährstoffe verursachen Sauerstoffmangel
In ihren Untersuchungen fanden die Forscher auch den Grund für die dramatische Entwicklung: „Wir haben Daten der letzten 115 Jahre auf den Gehalt von Sauerstoff im Wasser, Temperatur und Salzgehalt analysiert“, erklärt Erstautor Jacob Carstensen von der Universität Aarhus. Diese Daten verglichen er und seine Kollegen mit Angaben über Stickstoff- und Phosphoreinströme in die Ostsee. „Auf der Basis dieser Analyse können wir feststellen, dass die hohen Nährstoffeinträge vom Land ins Meer die Hauptursache des weit verbreiteten Sauerstoffmangels sind.“
Quelle dieser Nährstoffe sind vor allem Abwässer, die in Gewässer und das Meer geleitet werden, aber auch Düngemittel aus der Landwirtschaft, die dann mit dem Regen in Flüsse geschwemmt werden. Durch dieses reiche Angebot an Nahrung kommt es zu einer Überdüngung des Meerwassers. Algen vermehren sich dann unkontrolliert. Sterben sie ab, sinken sie in die Tiefe und werden dort von Mikroorganismen zersetzt. Der Sauerstoffbedarf bei dieser Zersetzung übersteigt den Nachschub, bis auch der letzte Rest aufgebraucht ist. Weil nur wenig Nachschub von sauerstoffreichem Wasser in die Ostsee und diese Senken gelangt, werden sie zu einer immer größeren Todeszone.
Steigende Temperaturen lassen Todeszonen wachsen
Die Klimaerwärmung der letzten 20 Jahre trägt ebenfalls weiter zur Sauerstoffknappheit bei, wie die Forscher berichten. Bei wärmeren Temperaturen löst sich weniger Sauerstoff im Wasser. Mikroorganismen wachsen jedoch besser – der Verbrauch steigt weiter. Und ohne menschliches Handeln ist keine Besserung in Sicht: „Die Wassertemperatur ist erhöht und wird in den kommenden Jahren weiter steigen“, betont Carstensen. „Deshalb ist es umso wichtiger, dass sich alle Länder zum Handlungsplan für die Ostsee verpflichten, dem sie sich angeschlossen haben und zielgerichtet dem notwendigen Einsatz nachkommen, um den Nährstoffeintrag in die Ostsee zu reduzieren.“
In den erstickenden Regionen breiten sich Bakterien aus, die ohne Sauerstoff überleben können. Viele dieser Mikroben produzieren Methan und giftigen Schwefelwasserstoff. Sie verwandeln den Meeresboden in eine Wüste. Die entstehenden Gase können auch in höhere Wasserschichten aufsteigen und dabei giftiges Sediment vom Meeresboden mit in die Höhe reißen, wie die Forscher erklären. So gefährden sie auch die Fischbestände in höheren Wasserschichten – das gesamte Ökosystem ist betroffen. Studien zeigen, dass es Jahrzehnte dauern kann, bis sich eine solche Todeszone erholt.
(Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 2014; doi: 10.1073/pnas.1323156111)
(Universität Aarhus, 01.04.2014 – AKR)