Neurobiologie

Immun gegen Musik

Musik löst bei manchen Menschen tatsächlich keinerlei Gefühle aus

Musik löst bei den meisten Menschen Emotionen aus - seien es positive oder negative. © SXC

Ein seltsames Phänomen: Es gibt Menschen, die sind völlig immun gegenüber Musik. Egal, welche Musikart sie sich anhören, sie löst weder Freude, noch Wohlgefühl, Trauer oder andere Gefühle aus. Jetzt zeigt sich: Diese Menschen besitzen tatsächlich eine Art blinden Fleck: Ihr Gehirn reagiert zwar auf andere emotionale Reize völlig normal, gegenüber der emotionalen Wirkung der Musik aber ist es blind.

Musik ist eine der ältesten Kulturformen der Menschheit: Schon unsere Vorfahren erdachten und sangen Lieder – als Ausdruck der Freude, zum Mutmachen vor einem Kampf oder einer Jagd oder um ihre Götter zu ehren. „Musik gilt als eine der höchsten Quellen der Freude „, erklären Ernest Mas-Herrero vom biomedizinischen Forschungsinstitut IDIBELL in Barcelona und seine Kollegen. Weil Musik in allen Kulturen und Gesellschaften eine wichtige Rolle spielt, ging man bisher auch davon aus, dass ihre emotionale Wirkung universal ist – dass jeder Mensch instinktiv auf die von ihr vermittelten Stimmungen reagiert.

Musik ohne Effekt

Aber es gibt offenbar Ausnahmen: Einige Menschen scheinen völlig immun gegenüber der Wirkung der Musik – obwohl sie diese sehr wohl als Musik erkennen und rational interpretieren können. Was es mit diesem Phänomen auf sich hat, haben Mas-Herrero nun in mehreren Experimenten untersucht. Für ihre Studie wählten sie 30 Teilnehmer aus, die in einer vorhergehenden Befragung als unterschiedlich stark auf Musik reagierend eingestuft worden waren.

Ein Drittel der Probanden empfand Musik als starke Quelle der Freude, ein weiteres Drittel ließ sich zumindest ab und zu emotional beeinflussen und das letzte Drittel bestand aus den musikalischen Anhedonisten, wie die Forscher sie bezeichnen. Im ersten Test spielten die Forscher allen Probanden ein fröhliches Musikstück vor und bat sie, anzugeben, wie sehr sie beim Lauschen Freude empfanden. In einem weiteren Test lauschten die Teilnehmer 56 Ausschnitten aus verschiedenen Stücken. Dabei sollten sie erkennen und angeben, ob die Musik eher traurige, glückliche, gruselige oder friedliche Gefühle widerspiegelt.

In einem letzten Test prüften die Forscher, ob die Teilnehmer auf bekannte Glücklichmacher normal reagierten. Dabei erhielten die Probanden eine Geldbelohnung, wenn sie schnell genug ein Ziel auf dem Bildschirm anklickten. Aus vorhergehenden Studien ist bekannt, dass dabei das Belohnungssystem im Gehirn anspringt und das Glückshormon Dopamin freisetzt. Während aller Tests maßen die Forscher den Hautwiderstand und den Puls der Teilnehmer, da beides sich verändert, wenn ein Mensch Gefühle empfindet.

Blinder Fleck im Belohnungssystem

Das Ergebnis: Die musikalischen Anhedonisten erwiesen sich tatsächlich als immun gegenüber der emotionalen Wirkung von Musik. Sie erkannten im zweiten Test zwar durchaus, ob eine Musik traurig, gruselig, fröhlich oder friedlich war, aber sie ließen sich von diesen Gefühlen nicht anstecken. Während die anderen Probanden durch die fröhliche Musik im ersten Test messbar positiv gestimmt wurden, tat sich bei den musikalischen Anhedonisten emotional nichts, wie die Forscher berichten.

Das Belohnungssystem dieser Teilnehmer reagierte bei der Geldaufgabe völlig normal und löste das entsprechende Wohlgefühl aus. Während des Lauschens auf die Musik jedoch blieb diese Reaktion aus. „Das könnte sich durch ein anormales Funktionieren des Belohnungssystems erklären lassen“, so die Forscher. Dieses besitzt offenbar gegenüber der Musikwirkung einen blinden Fleck.

„Damit haben unseres Wissens nach erstmals belegt, dass es eine Gruppe von ansonsten gesunden Menschen gibt, für die Musik keinen Belohnungseffekt hat“, konstatieren Mas-Herrero und seine Kollegen. Diese Entdeckung liefert wichtige Hinweise darauf, wie Musik neuronal verarbeitet wird und könnte auch erklären helfen, wie aus Noten und Klängen in unserem Gehirn ein emotionaler Musikgenuss wird. (Current Biology, 2014; doi: 10.1016/j.cub.2014.01.068)

(Current Biology / Cell Press, 07.03.2014 – NPO)

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