Der Tower von London, das Opernhaus in Sydney oder die einzigartigen Baudenkmäler in St-Petersburg, Istanbul oder Brügge: Sie alle sind vom Untergang bedroht. Denn der Anstieg der Meeresspiegel bedroht nicht nur Siedlungsräume großer Teile der Weltbevölkerung, sondern auch zahlreiche Stätten des UNESCO Weltkulturerbes. Das berichten Klimaforscher in einer aktuellen Studie. Sie stellten fest: 136 der gelisteten Kulturdenkmäler und zudem ganze Kulturen könnten betroffen sein.
Durch unsere enormen Emissionen an Treibhausgas steigen die Temperaturen, Gletscher schmelzen und als Folge davon steigt auch der Meeresspiegel an. Ganze Regionen könnten dadurch in Zukunft unter der Meeresoberfläche liegen. Vielfach wird derzeit über das Ausmaß und die Folgen des Klimawandels für Mensch und Natur diskutiert. Doch welche Auswirkungen wird er auf die über 700 von der UNESCO gelisteten Kulturdenkmäler haben? Dieser Frage sind Klimaforscher der Universität Innsbruck und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschungnachgegangen.
Für einen Zeitraum von 2.000 Jahren haben die Wissenschaftler den zu erwartenden Anstieg des Meeresspiegels am Computer modelliert. Ihr Augenmerk legten sie dabei auf die Frage, in welchen Regionen UNESCO Weltkulturstätten in den kommenden Jahrhunderten gefährdet sein könnten. „Die physikalischen Prozesse, die den weltweiten Anstieg der Weltmeere erzeugen, sind langsam – aber werden noch sehr lange anhalten“, erklärt der Klimaforscher Ben Marzeion von der Universität Innsbruck. „Davon wird auch das Weltkulturerbe betroffen sein.“
136 kulturelle Stätten drohen zu versinken
Für ihre Berechnungen gingen die Forscher von einem unterschiedlichen Ausmaß des Temperaturanstiegs aus. Wenn die globale Durchschnittstemperatur auf der Erde um ein Grad Celsius zunimmt, wären weltweit bereits 40 Kulturstätten unmittelbar vom Wasser bedroht, wie die Studie zeigt. Bei einem Temperaturanstieg von drei Grad Celsius könnte sogar rund ein Fünftel des Weltkulturerbes gefährdet sein. „Unsere Analyse zeigt, wie ernstzunehmend die langfristigen Folgen für unser kulturelles Erbe sind, wenn wir den Klimawandel nicht begrenzen“, sagt Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
Historische Stadtzentren in Brügge, Neapel, Istanbul und St. Petersburg und Stätten in Indien und China wären dann akut betroffen. „136 Standorte würden dann auf lange Sicht unter dem Meeresspiegel liegen“, präzisiert Marzeion. „Dabei ist noch gar nicht berücksichtigt, dass Gezeiten und Sturmfluten schon sehr viel früher Folgen für diese Kulturstätten haben könnten.“ Der Anstieg der Weltmeere kann zudem regional sehr unterschiedlich ausfallen. Um dem auch Rechnung zu tragen, kalkulierten die Wissenschaftler den Anstieg des Meeresspiegels für alle Weltregionen.
Besiedelte Gebiete werden zu Ozeanen
Die Klimaforscher stellten dabei fest, dass bei einer globalen Erwärmung um drei Grad bereits bis zu zwölf Länder der Welt mehr als die Hälfte ihrer derzeitigen Landfläche verlieren könnten. Weitere 30 Länder rund ein Zehntel ihrer Fläche. „Davon sind besonders Inselstaaten in Pazifik und Karibik betroffen, aber auch die Malediven und die Seychellen“, sagt Levermann. „Ein Großteil der Menschen wird diese Inseln langfristig wohl verlassen müssen, und damit könnte auch ein Großteil ihrer Kultur über kurz oder lang verloren gehen“, ergänzt Marzeion.
Sieben Prozent der heutigen Weltbevölkerung lebt damit in Regionen, die bei einem globalen Temperaturanstieg um drei Grad ohne entsprechende Gegenmaßnahmen letztendlich unter dem Meeresspiegel liegen werden. „Würde dieser Meeresspiegelanstieg heute passieren, wären mehr als 600 Millionen Menschen betroffen und müssten sich eine neue Heimat suchen“, betont Marzeion.
Vor allem in Südostasien, wo viele Menschen an den Küsten leben, wird sich der Anstieg des Meeresspiegels besonders bemerkbar machen. Aber auch der Bundesstaat Florida in den Vereinigten Staaten zählt zu den betroffenen Gebieten. „Diese langfristigen und gewaltigen Veränderungen an den Küsten werden auch das kulturelle Gefüge entscheidend verändern“, prognostiziert Marzeion. „Wenn wir den Klimawandel nicht begrenzen, werden die Archäologen der Zukunft einen großen Teil unseres Kulturerbes in den Meeren suchen müssen“, fügt er hinzu. (Environmental Research Letters, 2014; doi: 10.1088/1748-9326/9/3/034001)
(Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, 05.03.2014 – KEL)