Astrophysiker haben in unserer Milchstraße ein ungewöhnliches Phänomen entdeckt: Einen mit Überschalltempo dahinrasenden Pulsar, der einen extrem langen Strahl energiereicher Teilchen aussendet – den längsten, der je in unserer Galaxie beobachtet wurde. Aber das ist noch nicht alles: Seltsamerweise steht der Jet quer zur Flugrichtung des Pulsars. Warum, ist bisher rätselhaft, wie die Forscher im Fachmagazin „Astronomy & Astrophysics“ berichten.
Vor 10.000 bis 20.000 Jahren entstand in unserer Milchstraße der Pulsar IGR J11014-6103 durch die Supernova-Explosion eines massereichen Sterns. Wie für solche rotierenden Neutronensterne typisch, sendet der Pulsar einen fokussierten Strahl extrem energiereicher Teilchen und Strahlung aus – ähnlich dem rotierenden Strahl eines Leuchtturms. Frühere Beobachtungen hatten dieses auch als Leuchtturmnebel bekannte Himmelsobjekt bereits entdeckt. Jetzt haben Astrophysiker den Pulsar mit Hilfe des Chandra-Röntgenteleskops der NASA und des australischen Radioteleskoparrays ATCA genauer untersucht – und dabei einiges Überraschendes entdeckt.
Mit Überschall-Tempo und Schweif
Wie die Messungen bestätigen, bewegt sich der Pulsar mit enorm hoher Geschwindigkeit: Er entfernt sich mit mehr als 1.000 Kilometern pro Sekunde von den Trümmern seiner Supernova und zieht dabei einen leuchtenden Schweif hinter sich her.
„Das an sich ist schon interessant: Wir können einen sich mit Überschallgeschwindigkeit bewegenden Pulsar untersuchen, der eine Spur ausgeworfener Teilchen nach sich zieht, einen sogenannten Pulsarwindnebel“, erklärt Gerd Pühlhofer von der Universität Tübingen. „Dieser bildet bei solchen Hochgeschwindigkeitssystemen einen wundervollen, kometenartigen Schweif, der im Röntgen- und Radiolicht leuchtet.“
Rekordverdächtiger Teilchen-Jet
Wirklich erstaunlich an dem System ist aber ein weiterer, stark gebündelter Strom aus Teilchen, der sich fast rechtwinklig zur Bewegungsrichtung des Pulsars ausbreitet. Dieser Jet wird durch das Röntgenleuchten hochenergetischer Teilchen sichtbar, die sich mit etwa 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit vom Pulsar wegbewegen. Mit einer Länge von 37 Lichtjahren – das entspricht etwa der zehnfachen Entfernung zwischen unserer Sonne und ihrem nächsten Nachbarstern ‒ ist dies der längste Röntgenjet, der bisher in unserer Milchstraße entdeckt wurde.
Damit ist der Jet derart außergewöhnlich, dass sich die Forscher zunächst fragten, ob es sich wirklich um einen von dem Pulsarsystem ausgehenden Teilchenstrom handelt. „Wir mussten ausschließen, dass der Pulsar und das, was wie sein Jet aussieht, nicht nur rein zufällig in Projektion am Himmel an derselben Stelle erscheinen, sich in Wirklichkeit aber in völlig unterschiedlichen Entfernungen entlang der Sichtlinie befinden“, erläutert Lucia Pavan von der Universität Genf.
Kosmischer Korkenzieher
Um dies zu überprüfen, untersuchten die Wissenschaftler den Neutronenstern genauer: Wie sich zeigte, taumelt seine Rotationsachse ein wenig, während er durch das All rast. Eine solche Kreisbewegung der Achse bezeichnen Astronomen als Präzession. Ein Röntgenjet breitet sich normalerweise immer in Richtung der Drehachse des ihn ausstoßenden Himmelskörpers aus. Pendelt diese Achse, dann müsste auch der Jet dies widerspiegeln und wie eine Art Korkenzieher spiralig verwunden sein.
Tatsächlich beobachteten die Astrophysiker auch bei Pulsar IGR J11014-6103, dass sich der Jet entlang einer helikalen Achse von ihm entfernt. Die spiralig verwundene Form des Jets spricht daher dafür, dass der Jet vom Pulsar ausgeht und kein Effekt eines zufällig dahinterliegenden zweiten Objekts ist.
Verquere Drehachse gibt Rätsel auf
Die Beobachtungen der Forscher werfen aber noch weitere Fragen auf: „Die Drehachse des Neutronensterns steht eindeutig senkrecht zur Bewegungsrichtung des Pulsars. Das ist ein wirklich außergewöhnlicher Umstand“, erläutert Pühlhofer. Denn normalerweise zeigt die Rotationsachse eines solchen Neutronensterns in die Richtung, in die sich der Stern bewegt. Sein Jet müsste daher eigentlich entweder genau nach vorne oder aber nach hinten zeigen. Beim Pulsar IGR J11014-6103 geht der Jet aber seitlich ab. „Dies, und die extreme Geschwindigkeit des Pulsars sind möglicherweise der Schlüssel dazu, warum der Jet so hell ist“, erläutert Pol Bordos von der Universität Genf.
Die Ursache für diese seltsame Abweichung müsse in den Bedingungen zu finden sein, die bei der Erzeugung des Neutronensterns herrschten. Möglicherweise, so vermuten die Astrophysiker, verlief die Supernova bereits untypisch. „Aktuelle Erklärungen für das, was wir sehen, sind ziemlich exotisch“, erklärt Pühlhofer. Einigen Modellen nach könnte ein extrem schnell rotierender Eisenkern des Vorläufersterns kurz vor der Supernova eine solcherart verkippte Drehachse verursache. „Aber das Modell scheint nicht allgemein akzeptiert zu sein“, so der Forscher. Wie dieser seltsame Pulsar entstand, ist daher noch immer rätselhaft. (Astronomy & Astrophysics, 2014; doi: 10.1051/0004-6361/201322588))
(Eberhard Karls Universität Tübingen, 20.02.2014 – KEL)