Neurobiologie

Das große Vergessen

Mit sieben Jahren verlieren wir die meisten Erinnerungen an unsere frühe Kindheit

Warum sind unsere Erinnerungen an die frühe Kindheit so verschwommen oder sogar wie ausgelöscht? Was vor dem Alter von etwa drei Jahren geschah, daran können sie die wenigsten Erwachsenen noch erinnern. US-Forscher haben jetzt herausgefunden, dass die sogenannte kindliche Amnesie daran schuld ist: Mit etwa sieben Jahren verlieren wir die meisten Erinnerungen an unsere frühe Kindheit. Warum, können die Psychologen bisher nur vermuten.

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„Weißt du noch, wie der Weihnachtsbaum umgefallen ist und du ein Dreirad geschenkt bekommen hast?“ Fragt man Kinder im Alter von vier Jahren nach solchen Ereignissen, sind diese ihnen noch sehr präsent. Doch waren die frühkindlichen Erfahrungen auch noch so spektakulär, als Erwachsener können wir uns in der Regel nicht mehr an sie erinnern. Experten sprechen in diesem Zusammenhang von der „kindlichen Amnesie“. Aber wann setzt dieses großes Vergessen ein?

Patricia Bauer von der Emory University in Atlanta und ihre Kollegen haben darauf nun eine Antwort gefunden. Für ihre Studie befragten sie 83 Kinder im Alter von drei bis neun Jahren. Alle kleinen Probanden wurden zum ersten Mal als Dreijährige im Beisein ihrer Eltern nach großen Ereignissen in ihrer nahen Vergangenheit befragt. Die Eltern halfen dabei, den Kindern Details ihrer Erlebnisse zu entlocken. Bei Erreichen der nächsten Altersstufe befragten die Forscher dann jeweils ein Teil der Kinder erneut nach diesem Ereignis.

Mit Sieben kommt das Vergessen

Es zeigte sich: Während die Kinder sich im Alter von fünf bis sieben Jahren in 63 bis 72 Prozent der Fälle noch an das Erlebte erinnern konnten, waren es bei den Acht- und Neunjährigen nur noch etwa 35 Prozent. Nach Ansicht der Forscher deutet dies darauf hin, dass die kindliche Amnesie mit etwa sieben Jahren stattfindet. „Dieses Alter gilt als genau der Punkt, an dem wir beginnen, fortgeschrittene autobiografische Erinnerungen zu entwickeln“, erklären die Forscher.

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Denn aus den Erzählungen jüngerer Kinder ist ablesbar, dass sie noch keine echte Vorstellung von der räumlichen und zeitlichen Einordnung des Erlebten besitzen. Sie reisen beim Erinnern nicht mental zurück und erleben das Vergangene wieder, wie es bei unseren erwachsenen Erinnerungen der Fall ist. Ihr Gedächtnis speichert die Ereignisse stattdessen einfacher und anders ab und ist nach gängiger Vorstellung daher noch kein echtes autobiografisches Gedächtnis.

Aber was ist der Grund?

Das allerdings erklärt noch nicht, warum sich Kinder bis zu sieben Jahren trotzdem an die Ereignisse erinnern, danach aber plötzlich nicht mehr. „Denn unsere Ergebnisse zeigen deutlich, dass jüngere Kinder sich sehr wohl erinnern, selbst über einige Jahre hinweg“, erklären die Forscher. „Veränderungen in der Art, wie Erinnerungen gespeichert werden, können die kindliche Amnesie allein nicht erklären – es muss auch das Vergessen mit im Spiel sein.“

Bauer und ihre Kolleginnen vermuten, dass die Rate des Vergessens eine wichtige Rolle spielt. Studien zeigen, dass wir die meisten Details eines Ereignisses bereits direkt danach vergessen. Danach aber bleibt die Erinnerung relativ stabil und bleibt dann bis ins hohe Alter erhalten. Bei Kindern dagegen bleibt die Rate des Vergessens vor allem am Anfang höher, ihre Erinnerungen schrumpfen auch im Nachhinein noch. „Für jüngere Kinder hat sich das Vergessen noch nicht verlangsamt, ihre Erinnerungen gehen daher schneller verloren. Ältere Kinder dagegen gleichen sich allmählich an die Vergessensrate von Erwachsenen an und behalten daher von da an vieles besser“, erklären die Forscher.

Als nächstes wollen die Wissenschaftler nun auch das Gedächtnis älterer Kinder genauer untersuchen. „Wir würden gerne mehr darüber erfahren, wie sich das Gedächtnis im Alter von 9 bis 18 Jahren entwickelt“, so Bauer. Ihr zufolge ist das autobiografische Gedächtnis ein fundamentaler Bestandteil der menschlichen Persönlichkeit und deshalb ein wichtiger Forschungsgegenstand: „Wer seine Vergangenheit kennt, weiß wer er heute ist“, so die Psychologin. (Memory, 2014; doi: 10.1080/09658211.2013.854806)

(Taylor & Francis / Memory, 28.01.2014 – NPO/MVI)

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