Geowissen

Stratosphäre: Mehr Plutonium als gedacht

Vulkanausbrüche können Radionuklide wieder in Bodennähe bringen

Kernwaffentest im Jahr 1953 in Nevada © US Federal Government

Die Atomwaffentests des Kalten Krieges haben mehr Spuren in der Stratosphäre hinterlassen als gedacht: Aktuelle Messungen zeigen, dass dort bis zu 100.000 Mal mehr radioaktives Plutonium und Cäsium vorkommen als in Bodennähe. Durch große Vulkanausbrüche wie den des isländischen Eyjafjallajökull im Jahr 2010 können sie auch in tiefere Luftschichten und sogar in Bodennähe gelangen, berichtet ein internatioanles Forscherteam im Fachmagazin „Nature Communications“.

Vor allem in den 1950er und 1960er Jahren führten die Großmächte zahlreiche Kernwaffentests an der Erdoberfläche, in der Atmosphäre oder im Wasser des Pazifiks durch. Dabei wurden radioaktive Isotope der Elemente Cäsium, Strontium und Plutonium freigesetzt und lagerten sich an Schwebteilchen der Atmosphäre an. In der Troposphäre, der untersten Atmosphärenschicht, blieben sie nicht lange erhalten: Regen wusch die Radionuklide aus und auch herabsinkende Staubteilchen entfernten sie aus der Luft. „Diese trockene und feuchte Deposition entfernt die meisten Kontaminationen innerhalb von Wochen bis Monaten aus der Troposphäre“, erklären José Corcho Alvarado von der Universität Lausanne und seine Kollegen.

Stratosphäre als Reservoir

Anders in der in etwa 15 Kilometern Höhe beginnenden Stratosphäre. Hier überdauern die Radionuklide etwas länger – das war auch schon früher bekannt. Denn zum einen gibt es hier keine Wetterphänomene wie Regen oder Schnee, die die radioaktiv belasteten Schwebteilchen auswaschen können. Die Stratosphäre ist zudem durch eine Grenzschicht, die Tropopause, von der Troposphäre getrennt, die eine ungehinderte Passage behindert.

Und noch etwas kommt hinzu: „Der Großteil der radioaktiven Nuklide verband sich in der Stratosphäre mit Partikeln, die kleiner als einige Zehntel Mikrometer sind und deshalb über Jahre hinweg in der Schwebe bleiben können“, so die Forscher. Frühere Schätzungen gingen davon aus, dass die meisten radioaktiven stratosphärische Aerosole nach ein bis vier Jahren absinken und abgelagert werden, Plutonium sollte diesen Schätzungen nach sogar schon nach 1 bis 1,7 Jahren verschwinden.

Kaum Tests der aktuellen Kontamination

Allerdings: Nachgeprüft hat das seit Ende der letzten oberirdischen Tests Anfang der 1980er Jahre kaum noch jemand. „Die meisten Labore haben damals die stratosphärische Überwachung aufgegeben“, berichten Corcho Alvarado und seine Kollegen. Denn nach in Kraft treten des Testbanns im Jahr 1963 sank der radioaktive Fallout so deutlich ab, so dass man keinen Grund mehr sah, dies weiterzuverfolgen.

Flugzeug mit speziellem Ansauger für Lufttests © Swiss Federal Office of Public Health

Eine Ausnahme bildet die Schweiz: Dort werden mittels Messflugzeugen seit 1970 regelmäßig Luftproben aus der oberen Troposphäre und unteren Stratosphäre entnommen und auf verschiedene Substanzen hin analysiert – darunter auch Radionuklide wie Plutonium und Cäsium. Diese Daten machten sich nun die Forscher zunutze, um zu ermitteln, wie viele Relikte der radioaktiven Kontamination aus den Kernwaffentests heute noch in der Stratosphäre über Europa zu finden sind.

100.000 Mal mehr als in Bodennähe

Die Ergebnisse waren überraschend: Denn die Messdaten bestätigen zwar, dass die Konzentration von radioaktivem Plutonium und Cäsium in der Stratosphäre seit den 1970er Jahren kontinuierlich abgenommen haben. Gleichzeitig zeigen sie aber auch, dass in den höheren Luftschichten noch deutlich mehr radioaktive Partikel schweben als gedacht. „Die Plutonium-Aktivität in stratosphärischen Aerosolen liegt heute um fünf Größenordnungen – 100.000 Mal – höher als in Bodennähe“, berichten die Wissenschaftler. Bei Cäsium ist es immerhin noch tausend Mal mehr.

Offensichtlich können vor allem die an nur wenige Zehntel Mikrometer kleine Schwebteilchen gebundenen Radionuklide sogar mehre Jahrzehnte in der Stratosphäre überdauern ohne abzusinken. Und auch die etwas größeren Partikel bleiben immerhin durchschnittlich 2,5 bis 5 Jahre erhalten, so Corcho Alvarado und seine Kollegen.

Eruption am Eyjafjallajökull im April 2010 - Die Aschenwolken des Ausbruchs legten den Flugverkehr über halb Europa lahm. © Árni Friðriksson / CC-by-sa 3.0

Vulkanausbrüche bringen Radionuklide in Bodennähe

Dieses Ergebnis kann auch ein seltsames Phänomen beim Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull erklären. Denn als Messflugzeuge im Frühjahr und Sommer 2010 die Luft über Europa analysierten, registrierten sie nach Durchzug der Aschenwolke stark erhöhte Werte von Plutonium und Cäsium-137 auch in niedrigeren Luftschichten – sie lagen immerhin drei Größenordnungen höher als normal.

Nach Ansicht der Forscher könnten diese Radionuklide quasi als Anhalter mit den Aschenpartikeln und Schwefelaerosolen mitgereist sein, die bei der Eruption des Vulkans bis in die Stratosphäre geschleudert wurden. Dort lagerten sich die radioaktiven Nuklide an diese größeren Partikel an und sanken mit ihnen in die Troposphäre hinab. „Das zeigt, dass starke Vulkanausbrüche wie der des Eyjafjallajökull die menschengemachten radioaktiven Partikel umverteilen und auch wieder in die bodennahe Atmosphäre eintragen können.

Allerdings: Sorgen machen muss man sich laut Corcho Alvarado und seinen Kollegen deshalb nicht. Die Menge dieser radioaktiven Teilchen sei zu gering, um direkte gesundheitliche Folgen auszulösen – wollen wir es hoffen. (Nature Communications, 2014; doi: 10.1038/ncomms4030)

(Nature, 08.01.2014 – NPO)

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