Wo zähmte der Mensch erstmals den Wolf und züchtete die ersten Haushunde? Über diese Frage streiten Forscher seit langem. Jetzt hat ein internationales Forscherteam dazu erneut eine umfassende Genstudie durchgeführt – mit überraschendem Ergebnis: Die ersten Haushunde entstanden demnach nicht im Nahen Osten und auch nicht in Ostasien, sondern vor unserer Haustür – in Europa. Und nicht Bauern, sondern Jäger und Sammler könnten die ersten Wolfszähmer gewesen sein, so die Forscher im Fachmagazin „Science“.
Der Hund ist seit Jahrtausenden der Begleiter des Menschen. Doch wo und wann unsere Vorfahren begannen, Wölfe zu domestizieren, ist seit Jahren heftig umstritten. Lange Zeit nahm man an, dass die ersten Haushunde vor gut 10.000 Jahren im Nahen und Mittleren Osten entstanden – zu einer Zeit und in einer Region, in der unsere Vorfahren erstmals begannen, Landwirtschaft zu treiben und sesshaft zu werden.
Doch in den letzten Jahren haben sowohl Fossilfunde als auch genetische Analysen Zweifel an diesem Szenario geweckt. Ein Vergleich von DNA aus Y-Chromosomen von 151 Hunderassen deutete beispielsweise im Jahr 2011 darauf hin, dass die Domestikation der Hunde in Südostasien begonnen haben könnte. Andererseits aber haben Paläontologen in Westeuropa und Sibirien Fossilien von frühen Hunden entdeckt, die bereits 15.000 bis 36.000 Jahre alt waren.
DNA aus Fossilien und modernen Wölfen und Hunden
„Die ältesten Hundefossilien aus dem Nahen Osten sind dagegen maximal 13.000 Jahre alt“, erklären Olaf Thalmann von der Universität von Turku in Finnland und seine Kollegen. Um diese Widersprüche zu klären, haben sie nun erneut eine umfangreiche Genstudie durchgeführt. Sie sammelten dafür DNA-Proben von 18 prähistorischen Hundefossilien aus verschiedenen Regionen der Welt und verglichen diese mit der DNA von 49 modernen Wölfen und 77 Hunderassen.
In ihrer Analyse verglichen sie jeweils die mitochondriale DNA dieser Proben – den Erbgutteil, der nicht im Zellkern liegt, sondern in den Mitochondrien, den Kraftwerken der Zelle. Er wird nur von den Müttern an ihre Töchter weitergegeben und eignet sich daher gut, um Stammbäume anhand der mütterlichen Linie zurückzuverfolgen.
Europa als Wiege des Haushunds
Das Ergebnis: Bis auf wenige Ausnahmen bildeten die modernen Hunderassen eine Gengruppe, die der DNA der europäischen modernen Wölfe und der in Europa gefundenen prähistorischen Hundeartigen am ähnlichsten war. 78 Prozent der modernen Hunderassen zeigten eine enge Verwandtschaft mit mindestens einen der europäischen Fossilfunde.
„Diese enge Assoziation deutet auf einen Ursprung der Hunde in Europa statt im Mittleren Osten oder Ostasien hin“, konstatieren Thalmann und seine Kollegen. Dagegen zeige aus diesen beiden Gebieten kein moderner Wolf nähere Übereinstimmungen mit Hunden. Dies widerspricht der früheren Studie aus dem Jahr 2011. Diese ist aber den Wissenschaftlern zufolge unvollständiger, da bei ihr keine Fossilfunde mit einbezogen wurden.
Jäger und Sammler als erste Wolfs-Zähmer
Auch zu der Frage, wann die Domestikation aus Wölfen Hunde machte, liefern die Forscher neue Daten. Aus ihren Genanalysen schließen sie, dass dieser Wandel vor 32.100 bis 18.800 Jahren stattgefunden haben muss. Das ist nicht nur deutlich früher als es bisherige Genanalysen nahelegten. Es verändert auch das gesamte Szenario, wie sich diese Annäherung von Raubtier Wolf und Mensch abgespielt haben könnte. Denn der neuen Datierung nach fand die Domestikation noch vor der Entwicklung der Landwirtschaft statt.
Die ersten Hundezüchter könnten demnach Jäger und Sammler gewesen sein, die gegen Ende der letzten Eiszeit in der europäischen Tundra und Taiga Rentiere, Mammuts und andere Großsäuger jagten. „Die ersten Vorläufer der Haushunde könnten von den Resten der Tierkadaver profitiert haben, die die Jäger hinterließen“, spekulieren Thalmann und seine Kollegen. Im Laufe der Zeit halfen sie dann vielleicht sogar dabei, die Beute zusammenzutreiben und zu jagen oder schützten die Jäger vor anderen Raubtieren, die ihnen die Beute streitig machen wollten.
Fehlversuche gab es auch
Interessanterweise scheint es bei dem Versuch, Wölfe zu zähmen und zu züchten, auch einige Fehlstarts gegeben zu haben. Denn zumindest einige der ältesten fossilen Hundeartigen entpuppten sich als genetische Abweichler. Der 36.000 Jahre alte Goyet-Hund, ein in der gleichnamigen Höhle in Belgien entdeckter Schädel, war beispielsweise mit keiner der modernen Hunderassen oder Wölfe verwandt. Ihn sehen die Forscher daher nicht als Vorfahren der heutigen Hunde, sondern als ausgestorbene Seitenlinie.
Ein anderer, ebenfalls in Belgien gefundener 26.000 Jahre alte Proto-Hund war außergewöhnlich groß und scheint von einem anderem Wolfstyp abzustammen als die restlichen Hunde. Auch seine Linie setzte sich offenbar nicht fort. „Das zeigt, dass die Bedingungen für die Domestikation des Hundes nicht überall gleich günstig waren“, konstatieren die Forscher. (Science, 2013; doi: 10.1126/science.1243650)
(Science, 15.11.2013 – NPO)