Paläontologie

Neandertaler stocherten zwischen den Zähnen

Steinzeitmenschen benutzten Zahnstocher auch gegen entzündetes Zahnfleisch

Typische Zahnstocherkerbe (Pfeil) in einem Zahn des bei Cova Foradà gefundenen Neandertaler-Fossils. © M. Lozano et al., Plos One, 2013

Schon die Neandertaler benutzten Zahnstocher, um ihr Gebiss zu reinigen. Das belegen Furchen und Kerben an den Zähnen von Fossilien aus der Steinzeit. Doch dieser eiszeitliche Vetter des Menschen nutzte die Zahnstocher offenbar nicht nur, um sich Nahrungsreste aus dem Gebiss zu pulen. Er versuchte damit auch, die mit einer Zahnfleischentzündung verbundenen Schmerzen zu lindern, wie spanische Forscher im Fachmagazin „Plos ONE“ berichten.

Die Nutzung von Zahnstochern ist keineswegs eine moderne Erfindung, ganz im Gegenteil: „Diese Praxis findet sich in jeder Kultur, von den Anfängen der Gattung Homo bis in die moderne Zeit“, erklären Marina Lozano von der Universitat Rovira i Virgili (URV) inTarragona und ihre Kollegen. Holz- und Knochensplitter und vor allem Grashalme waren weit verbreitet, um Nahrungsreste zwischen den Zähnen zu entfernen. Bereits bei Fossilien des vor 1,84 Millionen Jahren lebenden Homo habilis hat man Spuren der Zahnstochernutzung entdeckt.

In der Grabungsstätte Cova Foradà an der spanischen Mittelmeerküste haben Lozano und ihre Kollegen nun typische Zahnstocher-Spuren auch bei einem Neandertaler-Fossil gefunden. Kerben und Riefen in den Zahnzwischenräumen zeigten, dass sich dieser Frühmensch mit einem dünnen, harten Objekt zwischen den Zähnen herumgestochert haben muss. Das genaue Alter des Fossils ist zwar unklar. Typische Werkzeuge am Fundort deuten aber auf die steinzeitliche Moustérien-Epoche hin. Diese dauerte von etwa 150.000 bis 50.000 vor Christus.

Elektronenmikroskopische Detailaufnahme einer Kerbe, die durch Zahnstocherbenutzung entstand © M. Lozano et al., Plos One, 2013

Zahnstocher gegen fortgeschrittene Parodontitis

Solche Funde von Zahnstocher-Spuren bei Neandertalern sind prinzipiell nichts Neues. Dass auch diese eiszeitlichen Vettern des Menschen schon so ihre Zähne von Nahrungsresten befreiten, haben auch schon andere Fossilien gezeigt. Doch der Fund von der Mittelmeerküste hat eine Besonderheit: Die Untersuchungen des Fossils zeigten auch einen porösen Kieferknochen und teilweisen Knochenschwund, der die Zahnwurzeln bloß stellte. Dies ist typisch für fortgeschrittene Parodontitis, eine verbreitete Zahnfleischentzündung.

Lozano erläutert ihren Fund: „Dieses Individuum hat versucht, das Unbehagen einer Zahnfleischerkrankung zu mildern. Solche Krankheiten verursachen üblicherweise blutendes und entzündetes Zahnfleisch, die systematische Benutzung eines Zahnstochers kann das verringern.“ Dieser Steinzeitmensch putzte sich also nicht nur die Zähne, er versuchte auch, sein schmerzendes Zahnfleisch zu pflegen.

„Im Falle des Cova-Foradà-Fundes wurde der Zahnstocher nicht nur als primitive Methode zur Zahnhygiene benutzt, sondern im Zusammenhang mit einer Zahnkrankheit, mit der klaren Absicht, Schmerz zu lindern. Das macht ihn einzigartig“, sagt Marina Lozano. Es handelt sich um den ersten dokumentierten Fund dieser Art. Lozano bezeichnete die Ergebnisse als „weiteren Schritt, die Neandertaler als eine Rasse mit zahlreichen Anpassungen an ihre Umwelt und umfangreichen Ressourcen, selbst im Bereich der schmerzlindernden Medizin, zu beschreiben.“ (Plos ONE, 2013; doi:10.1371/journal.pone.0076852)

(Universitat Autònoma de Barcelona, 21.10.2013 – AKR)

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