Chemie

Flüssiges Wasser bei minus 157 Grad erzeugt

Tieftemperaturrekord wirft neues Licht auch auf Wasser im Weltall

Molekülanordnung bei flüssigem Wasser und bei kristallinem Eis © P99am / CC-by-sa 3.0

Wasser kann bei tieferen Temperaturen flüssig sein als bisher angenommen: Bei minus 157 Grad Celsius haben Forscher im Experiment den Übergang von amorphem Eis zu zähflüssigem Wasser beobachtet. Diese überraschende Erkenntnis liefert nicht nur Neues über die unnormalste Flüssigkeit der Welt. Sie wirft auch ein neues Licht auf Wasservorkommen im Weltall und die Frage, wie dort organische Verbindungen oder gar Leben entstehen könnten, wie die Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ berichten.

Wasser ist nicht nur essenziell für das Leben auf der Erde, es ist auch eine der anormalsten Flüssigkeiten. Diese Anomalien werden besonders im sogenannten unterkühlten Zustand sichtbar – dann, wenn Wasser trotz Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt noch nicht auskristallisiert, sondern flüssig bleibt. Dies geschieht unter anderem dann, wenn Kristallisationskeime fehlen, die die ungeordneten Wassermoleküle in eine regelmäßige Struktur bringen. Im Weltall kommt Wasser in einem weiteren ungewöhnlichen Zustand vor, dem amorphen Eis.

Im Gegensatz zu kristallinem Eis sind die Wassermoleküle in amorphem Eis unregelmäßig angeordnet. Dieses Eis ist damit flüssigem Wasser sehr ähnlich – quasi die erstarrte Form von fließendem Wasser. Damit ähnelt auch Glas, das auch aus einer erstarrten Schmelze besteht. Im Weltall kommt Eis fast ausschließlich in der amorphen Form vor, während es auf der Erde immer als kristallines Eis vorliegt.

Flüssig bei -157 Grad Celsius

Die Eigenschaften dieses amorphen Eises haben Forscher um Thomas Lörting vom Institut für Physikalische Chemie der Universität Innsbruck nun näher untersucht – und dabei Überraschendes entdeckt: Erwärmten sie es langsam, ging es überraschend früh in einen Zustand der Zähflüssigkeit über. „Wir entspannen das amorphe Eis, damit es in den Gleichgewichtszustand kommt“, erklärt Lörting. „Dann erwärmen wir es sehr langsam im Vakuum oder bei Umgebungsdruck und überprüfen, bei welcher Temperatur es sich verflüssigt.“ Flüssig definieren die Wissenschaftler einen Zustand, in dem der Stoff nach einer Störung innerhalb von höchstens 100 Sekunden in seinen Gleichgewichtszustand zurückkehrt, also „relaxiert“.

Die Chemiker kamen zu dem überraschenden Ergebnis, dass das hochdichte, amorphe Eis bereits bei rund -157 Grad Celsius vom erstarrten in den flüssigen Zustand übergeht. „Es handelt sich dabei um eine hochviskose Flüssigkeit, die zäher als Honig ist“, beschreibt Lörting das tief unterkühlte Wasser.

Wasser kann demnach unter Umgebungsdruck oder Vakuum oberhalb von -157 Grad Celsius in flüssiger Form auftreten. Es handelt sich bereits um den zweiten, sogenannten Glasübergang, der an der Universität Innsbruck für Wasser gefunden wurde. Schon vor 30 Jahren hatte der inzwischen verstorbene Chemiker Erwin Mayer den Glasübergang von niederdichtem, amorphem Eis bei -137 Grad Celsius gefunden.

Neues Licht auf Wasser im All

Diese neue Entdeckung könnte für unser Verständnis der Evolution von Molekülen und womöglich auch die Frage nach der Entstehung von Leben im Weltall von Bedeutung sein. Denn flüssiges Wasser gilt gemeinhin als das Lösungsmittel für chemische Reaktionen schlechthin, als Geburtsstätte der Moleküle des Lebens. Wenn Wasser bei sehr viel tieferen Temperaturen als bisher angenommen flüssig auftritt, wirft das ein neues Licht auf diesen Prozess.

Auch kann die aktuelle Arbeit neue Ansatzpunkte für die Erklärung der vielen anormalen Eigenschaften des Wassers liefern. Das Team um Roland Böhmer und Thomas Lörting will nun das zähflüssige Wasser genauer untersuchen und dessen Eigenschaften näher charakterisieren. „Wir wollen wissen, wie sich andere Stoffe in diesem Wasser lösen lassen und wie die um ein Viertel höhere Dichte des Wassers die Reaktionsfähigkeit verändert“, sagt der Chemiker. „Hier öffnet sich uns ein neues Forschungsfeld, das Arbeit für weitere 30 Jahre liefert“, ist Lörting überzeugt.(Proceedings of the National Academy of Sciences, 2013; doi: 10.1073/pnas.1311718110)

(Universität Innsbruck, 08.10.2013 – NPO)

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