Quallen sind eigentlich eher einfach gestrickt und nicht gerade schnell. Trotzdem aber breiten sie sich immer wieder massenhaft aus. Das Erfolgsgeheimnis dieser Nesseltiere haben jetzt US-Forscher aufgedeckt: Quallen sind extrem energiesparende Schwimmer. Ihr Rückstoßantrieb ist einer der effektivsten im gesamten Tierreich – und könnte Vorbild sein auch für technische Antriebe, wie die Wissenschaftler im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ berichten.
Quallen erfreuen sich nicht gerade großer Beliebtheit – zumindest nicht bei Strandurlaubern und Fischern. Denn zunehmend häufig treten auch an unserem Küsten Massenvermehrungen dieser geleeartigen Tiere auf – vor allem dort, wo das Ökosystem des Meeres außer Balance geraten ist, beispielsweise durch Überfischung oder den Klimawandel. So haben in weiten Teilen des Schwarzen Meeres Quallen bereits die Herrschaft übernommen und auch in der Kieler Bucht wirkt sich die Quallenpopulation auf die Fischbestände aus. Hier wildern die Jungmedusen der Ohrenqualle jährlich die schlüpfende Heringsbrut.
Das Seltsame daran: Eigentlich dürften die Quallen gar nicht so erfolgreich sein. denn sie schwimmen nur vergleichsweise langsam und auch ihre Jagdtechnik ist der von Raubfischen unterlegen. „Die Fähigkeit dieser Tiere, sich gegen die Konkurrenz der Fische durchzusetzen, ist konterintuitiv“, erklären Brad Gemmell vom Marine Biological Laboratory in Woods Hole und seine Kollegen. Denn Raubfische sind effektive, wendige Jäger, Quallen dagegen erwischen ihre Beute nur dann, wenn sie sie mit ihren Nesselzellen direkt berühren, gelten aber als sehr langsame Schwimmer. Was also ist ihr Erfolgsgeheimnis?
Fortbewegung fast ohne Muskeleinsatz
Gemmell und seine Kollegen haben dies nun genauer untersucht. Ihr Verdacht: Vielleicht können Quellen gegen die scheinbar bessere Konkurrenz bestehen, weil sie effektiver mit ihrer Energie haushalten. Wenn sie weniger Energie und damit auch Nahrung benötigen, könnte ihnen dies vor allem in gestörten Ökosystemen einen entscheidenden Vorteil gegenüber den schnelleren, aber auch viel Futter brauchenden Fischen verschaffen.
Ein Indiz für diese These sind die Muskeln der Tiere, wie die Wissenschaftler erklären: Während bei Fischen die Muskelmasse rund 50 Prozent ihres Körpergewichts ausmacht, ist es bei den Quallen gerade einmal ein Prozent. Dadurch bleibt der größte Teil ihres Körpers auch beim Schwimmen in Ruhe. Wie viel Energie das Schwimmen die Quallen tatsächlich kostet und wie sie dies erreichen, untersuchten die Forscher, indem sie Quallen mit einer High-Speed-Kamera filmten und ihre Bewegungen im Detail analysierten. Außerdem erstellten sie ein Modell einer Qualle, mit dem sie die physikalischen Parameter ihrer Schwimmtechnik überprüfen konnten.
Rückstoßantrieb mit Zusatzschub
Wie sich zeigte, ist der Rückstoßantrieb der Quallen noch sparsamer als gedacht: Nur 20 Prozent jedes Schwimmzyklus erfordert eine Kontraktion der Muskeln. Den Rest des Schubes erhält das Tier erstaunlicherweise, während sich sein Hut wieder passiv entspannt. „Die dabei erzeugte Kraft kann eine vier Zentimeter große Ohrenquelle gut zehn Millimeter vorwärts bringen – das entspricht 80 Prozent der Gesamtstrecke pro Rückstoß-Durchgang“, berichten die Forscher.
Die raffinierte Konstruktion des elastischen Hutmaterials sorgt dafür, dass beim passiven Öffnen des Huts ein ringförmiger Wirbel entsteht, der für den Extra-Schub sorgt. Ein Großteil der zuvor eingesetzten Energie wird dadurch wiedergewonnen und erneut eingesetzt. Dieses Prinzip macht die Ohrenquelle zu einem dreieinhalbfach effektiveren Schwimmer als den schnellen Lachs, wie die Wissenschaftler erklären.
Vorbild für neue Antriebstechnologien
„Diese Fähigkeit verleiht den Quallen einen energetischen Vorteil, der es ihnen schnelle Massenvermehrungen über kurze Zeitperioden erlaubt, bei denen sie dann sogar Fische im Wettbewerb um Beute schlagen“, konstatieren Gemmell und seine Kollegen. Das erkläre den Erfolg der Nesseltiere trotz ihrer scheinbaren Nachteile.
Das sparsame Antriebsprinzip der Quallen könne aber auch dazu beitragen, effektivere technische Antriebe für Wasserfahrzeuge zu konstruieren. „Es könnte sich überall dort anbieten, wo es wichtig ist, möglichst wenig Energie für die Fortbewegung zu verbrauchen und wo Geschwindigkeit keine große Rolle spielt“, so die Forscher. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2013; doi: 10.1073/pnas.1306983110)
(PNAS, 08.10.2013 – NPO)