Klima

Arktis: Packeisgrenze so nördlich wie noch nie

Meereis schrumpft weniger als 2012, Trend zur Schmelze hält aber an

Eisbedeckung September 2013 (blau) im Vergleich zu 2012 (rot) © Universität Hamburg KlimaCampus

Das arktische Meereis hat in diesen Tagen sein Jahresminimum erreicht. Die gute Nachricht: seine Fläche ist größer als 2012. Die schlechte: So weit nach Norden wie in diesem Jahr wich das Packeis noch nie zurück. Größere Bereiche offener See sind zurzeit nur noch 220 Kilometer vom Nordpol entfernt. Es gibt daher keinen Grund zur Entwarnung, mahnen die Klimaforscher. Es gebe einige Indizien dafür, dass das dicke, mehrjährige Eis nach wie vor weiter abnimmt.

Jedes Jahr gegen Ende September schrumpft das arktische Meereis auf seine kleinste Ausdehnung. Die Wärme des Sommers hat dann das einjährige Wintereis größtenteils weggeschmolzen und nur das dickere mehrjährige Eis bleibt übrig. In den letzten Jahrzehnten ist diese Meereisfläche stetig geschrumpft – ein Folge des Klimawandels. 2012 erreichte die im September verbliebene Eisfläche einen neuen Negativrekord: Es bedeckte nur noch 3,4 Millionen Quadratkilometer Fläche.

50 Prozent mehr als 2012 – aber kein Grund zur Entwarnung

In diesem Jahr liegt das Minimum der Meereisfläche im arktischen Ozean im Mittel bei etwa 5,1 Millionen Quadratkilometer. Diese Fläche liegt immerhin rund 50 Prozent über dem Negativrekord von 2012. „Dieser Wert bedeutet allerdings keine Trendwende“, lautet die gemeinsame Einschätzung der Meereisphysiker Marcel Nicolaus vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) und Lars Kaleschke vom KlimaCampus der Universität Hamburg.

Entwicklung des September-Minimums der Eisbedeckung © Universität Hamburg KlimaCampus

„2013 war nicht mit einem neuen Negativ-Rekord der Meereisfläche zu rechnen, denn die Statistik zeigt, dass auf ein Rekordjahr stets eine kurzfristige Erholung folgt. Daher können Trends nur durch die Betrachtung langer Zeiträume richtig erfasst werden“, sagt Kaleschke. Denn die sommerliche Eisbedeckung beruht auf einem komplexen Zusammenspiel mehrerer Faktoren und schwankt daher deutlich von Jahr zu Jahr: „Eine entscheidende Rolle spielen dabei die Eisbedingungen im Frühjahr, der Verlauf der Schmelzsaison sowie die atmosphärischen Bedingungen im Sommer“, erklärt Marcel Nicolaus vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI).

So beeinflusst zum Beispiel die vorherrschende Windrichtung maßgeblich, ob die Eisflächen auseinandergetrieben oder zusammengeschoben werden. Vor diesem Hintergrund rechnen die Wissenschaftler auch in den nächsten Jahren mit großen Schwankungen der sommerlichen Meereisbedeckung in der Arktis. Die 2013 beobachtete Eisbedeckung reihe sich aber trotz der scheinbaren Zunahme in die geringen Werte der letzten Jahre ein, sagen die Forscher. Denn schon ein geringer Eintrag von mehr Wärme in die Arktis reiche aus, um die insgesamt immer dünner werdenden Eisflächen ganz verschwinden zu lassen. Indizien dafür gibt es mehrere:

Meereisphysiker Marcel Nicolaus vermisst während der Polarstern-Expedition ARK-XXVII-3 auf einer Eisscholle die Tiefe eines Schmelzwassertümpels. © Stefan Hendricks/ Alfred-Wegener-Institut

Wieder mehr Schmelztümpel

Besondere Aufmerksamkeit haben in diesem Sommer Schmelztümpel auf dem Meereis hervorgerufen, die in diesem – wie auch in den vergangenen Jahren – wieder vermehrt auftraten. So machte zum Beispiel das Foto von großen Schmelztümpeln in der Nähe des Nordpols weltweit Schlagzeilen. Schmelztümpel entstehen, wenn zunächst der Schnee auf dem Meereis und dann das Meereis selbst von oben schmelzen. Kann dieses Schmelzwasser nicht ablaufen, sammelt es sich auf dem Meereis in Tümpeln.

Schmelztümpel sind ein normales Phänomen auf arktischem Meereis, allerdings treten sie jetzt immer früher im Jahr und über einen längeren Zeitraum auf. „Dies wirkt sich wesentlich auf das Meereis aus. Weißes Eis verwandelt sich in dunklere Tümpel, die mehr Sonnenlicht absorbieren und das Schmelzen so verstärken“, sagt Nicolaus. Die Zunahme solcher Tümpel ist daher ein eher bedenkliches Zeichen für die Zukunft des arktischen Meereises.

Negativ-Rekord: Packeisgrenze so nördlich wie nie

Und trotz der scheinbaren Entspannung ist auch in diesem Jahr ein Negativrekord zu vermelden: Die Grenze des kompakten Packeises – als solches werden Flächen mit mehr als 90 Prozent Eisbedeckung bezeichnet – wich nördlich der russischen Inselgruppen Franz-Josef-Land und Sewernaja Semlja bis hinter den 88. Breitengrad zurück. Das ist seit Beginn der Satellitenmessungen ein bislang einmaliges Ereignis, wie die Meereisforscher erklären.

Zudem zeigen sich vermehrt große Flächen offenen Wassers zwischen 87 und 88 Grad nördlicher Breite, also nur noch rund 220 Kilometer vom Nordpol entfernt. In den 1990er Jahren lag die sommerliche Packeisgrenze noch bei etwa 80 bis 82 Grad nördlicher Breite. „Diese Phänomene belegen, dass sich die arktische Eisdecke grundlegend gewandelt hat: Dort wo einst dickes mehrjähriges Packeis vorherrschte, findet sich nun vorwiegend saisonales Eis“, so Kaleschke.

(Universität Hamburg, 20.09.2013 – NPO)

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