Der Marienkäfer gehört nicht gerade zu den Leichtgewichten unter den Insekten. Trotzdem kann das eher pummelige Tier nahezu senkrechte Wände hinauslaufen. Deutsche Forscher haben nun aufgeklärt, warum: Die Haftborsten am Käferfuß sind so raffiniert konstruiert, dass sie zwar flexibel genug sind, um zu haften, aber gleichzeitig hart genug, um das Gewicht des Käfers zu halten. Der Materialmix, der das ermöglicht, ist dabei so komplex, dass wir ihn – noch – nicht künstlich nachbauen können, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“ berichten.
An Wänden hochlaufen oder an Oberflächen kopfüber spazieren, das können nicht nur Stubenfliegen oder Mücken, sondern auch viele andere Insekten. Auch die Marienkäfer gehören dazu: Die Haftkraft ihrer Füße ist immerhin groß genug, um ihren eher pummeligen Körper problemlos Pflanzenstiele, aber auch Fensterrahmen hinauf zu hieven. Mit Hilfe welcher Strukturen ihnen dies gelingt, war aber bisher unbekannt. Jan Michels und seine Kollegen von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) haben nun mit Hilfe spezieller Mikroskopietechniken, der Konfokalen Laserrastermikroskopie und der Rasterkraftmikroskopie, den Marienkäfern genauer auf die Füße geschaut.
Zu flexibel ist auch nicht gut
„Damit ein Insekt sich gut an Oberflächen halten kann, müssen die Haftstrukturen ihrer Füße und Zehen möglichst große Kontaktflächen zum Untergrund haben“, erklären die Forscher. Wie man es beispielsweise vom Gecko oder der Stubenfliege kennt, sind daher die Füße solcher Kletterkünstler meist mit unzähligen feinen, verzweigten Härchen besetzt. Dabei gibt es jedoch ein Dilemma: Einerseits müssen diese Härchen möglichst weich und biegsam sein, um sich eng an die Oberfläche anschmiegen zu können. Andererseits aber verlieren zu flexible Haftborsten leicht ihre Stabilität und rutschen ab. Gerade der Marienkäfer mit seinem für ein Insekt nicht unbeträchtlichen Gewicht muss hier die richtige Balance finden.
Das pummelige Insekt hat dieses Problem auf geradezu geniale Weise gelöst, wie die Untersuchungen von Michels und seinen Kollegen jetzt zeigen: Wie erwartet ist jedes Käferbein mit vielen kleinen Haaren ausgestattet, die die Haftung an Oberflächen ermöglichen. Doch jetzt kommt der Clou: „Unsere Untersuchungsergebnisse zeigen, dass verschiedene Teile dieser Haare unterschiedliche Materialzusammensetzungen und -eigenschaften aufweisen“, berichtet Michels.
Während die Haarwurzeln relativ hart und steif sind, ist das Material in den Haarspitzen ziemlich weich und elastisch.
Oben hart und unten weich
Bemerkbar macht sich dieser Unterschied unter anderem daran, dass Wurzeln und Spitze unterschiedlich große Mengen des Proteins Resilin enthalten. Dieses Protein kommt bei Insekten an vielen Stellen vor, an denen Flexibilität gefragt ist. Zum Beispiel in Flügeln, in Beingelenken, und eben auch in den Hafthaaren von Marienkäfern. Bei diesen ist in den Spitzen mehr davon enthalten und das macht diese besonders flexibel. Die Wissenschaftler vermuten, dass sich die Haarspitzen dadurch besser vorhandenen Unebenheiten anpassen können und dies zu einer verbesserten Haftung der Käfer an rauen Oberflächen führt.
Mit dieser raffinierten Kombitechnik umgeht der Marienkäfer das Stabilitätsproblem – und kann unbesorgt auch an fast senkrechten Wänden emporklettern. Für Forscher wie Michels oder seinen Kollegen Stanislav Gorb sind solche Erkenntnisse mehr als nur Grundlagenforschung: Sie suchen gezielt in der Natur nach Inspirationen, um neue Materialien herzustellen oder vorhandene zu verbessern. Allerdings: Die Materialzusammensetzung der Hafthaare der Marienkäfer ist so komplex, dass es zurzeit kein Material gibt, mit dem es möglich wäre, sie künstlich nachzubauen. „Die Natur ist uns in diesem Fall sozusagen einen Marienkäferschritt voraus“, schließt Michels und hofft auf die Materialwissenschaften, die „jetzt an der Reihe sind“. (Nature Communications, 2013; doi: 10.1038/ncomms2576)
(Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 14.08.2013 – NPO)