Technik

Früherkennung für Wale

Neues Kamerasystem erkennt Meeressäuger am Blas und hilft so, sie vor Lärm zu schützen

Eine Gruppe von Zwergwalen taucht in einer Eislücke zum Atmen auf. Während die meisten anderen Bartenwale am Ende des antarktischen Sommers Richtung Äquator wandern, haben sich Zwergwale an das Leben in der winterlichen Antarktis angepasst und verbringen das ganze Jahr im Südpolarmeer. © Stefan Hendricks, Alfred-Wegener-Institut

Bei Bauarbeiten im Meer kann es für Wale recht laut werden. Wenn beispielsweise Windparks aufgebaut werden, sollten sie besser nicht in der Nähe herumschwimmen. Ohne Hilfsmittel kann man aber so gut wie gar nicht erkennen, wenn sich ein Wal der Baustelle nähert. Daher haben Forscher ein neues Kamerasystem entwickelt: Es kann Tag und Nacht Wale in einer Entfernung von bis zu fünf Kilometern an ihrem Blas erkennen – somit kann rechtzeitig ein Maschinen- Stopp eingelegt werden. Und: Die Tiere können ungestört weiterziehen.

Durch Rammarbeiten beim Bau von Windparks oder der Einsatz von Luftpulsern bei der Suche nach Öl und Gas im Meer entsteht Lärm im Umfeld der Arbeiten. Um sicherzustellen, dass Meeressäuger keinen Schaden nehmen, wenn sie den Geräten nahe kommen, gibt es entsprechende Lärmschutzauflagen. Eine Auflage kann lauten, die Luftpulser abzuschalten oder die Rammarbeiten einzustellen, sowie sich ein Wal der Schallquelle zu weit nähert. Wie aber kann die Besatzung eines Schiffes oder einer Arbeitsplattform das Meer flächendeckend sowie rund um die Uhr nach Walen absuchen – und das wochenlang?

Dem Menschen sind in dieser Frage klare Grenzen gesetzt: „Wer einmal für längere Zeit auf das Meer geschaut hat, der weiß, wie schnell die Augen müde werden und die Konzentration nachlässt. Hinzukommt: Wir können nicht gleichzeitig in alle Richtungen schauen und bei Dunkelheit sehen wir so gut wie nichts. Deshalb war es bisher vor allem nachts schwierig, Wale in Schiffs- oder Plattformnähe zu entdecken“, sagt Daniel Zitterbart, Physiker am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI). Zitterbart und sein Team haben daher ein entsprechendes Hilfssystem entwickelt und an Bord des Forschungsschiffes Polarstern getestet.

Verräterische Fontäne

Herzstück ist ein Wärmebild-Kamerasystem: „Unsere Wärmebild-Kamera ist in 28 Metern Höhe am Polarstern-Krähennest angebracht“, erläutert Zitterbart. Sie sitzt auf einem Stabilisator, der die Schiffsbewegungen ausgleicht, dreht sich fünf Mal pro Sekunde um die eigene Achse und erzeugt einen 360-Grad-Videostream der Schiffsumgebung. Der Clou dabei: In diesem Videobild werden warme Regionen heller dargestellt als kältere. Der Wärmesensor ist so empfindlich, dass er Temperaturunterschiede von weniger als ein Hundertstel Grad Celsius abbildet. „Walblas, der zumindest in subpolaren und polaren Regionen deutlich wärmer ist als das Wasser, ist demzufolge auf den Aufnahmen als hellgraue oder weiße Fontäne zu erkennen“, sagt der Forscher.

Der FIRST Navy Wärmebildgeber ist im Krähennest in einer Höhe von ca. 28 Metern über dem Wasser auf einer hochstabilisierten Plattform (weiße Basis) installiert. Der Sensorkopf (grün) rotiert mit 5 Umdrehungen pro Sekunde. Durch die Aufbauten von Polarstern entstehen im Krähennest oft sturmähnliche Windbedingungen, während die Temperaturen auf bis zu minus 30°C sinken können. Beides stellt höchste Anforderung an das System. © Lars Kindermann, Alfred-Wegener-Institut

Die Auswertung der Bilddaten übernimmt eine von ihm entwickelte Software. „Walblas wird auf den Wärmebildaufnahmen mit einem ganz spezifischen Muster hell und wieder dunkler“, erklärt der Physiker. Die Software teilt nun jedes der aufgezeichneten Bilder in über 30.000 Kästchen ein und untersucht diese Kästchen einzeln nach Helligkeitsunterschieden. Anschließend entscheidet der Rechner, ob ein wahrgenommener Helligkeitsunterschied den Merkmalen eines Walblases entspricht oder nicht. „So entdecken wir auch jene Tiere, die nur für einen ganz kurzen Atemzug aufgetaucht sind“, sagt Zitterbart.

Doppelt so treffsicher wie Beobachtung per Fernglas

Wie gut das System funktioniert, zeigte ein erster Test an Bord des Forschungsschiffes Polarstern. Wie die Wissenschaftler berichten, erfasste das Kamerasystem bei sieben Expeditionen in die Arktis und Antarktis deutlich mehr Wale als Forscher, die mit dem Fernglas Ausschau nach den Tieren hielten. In einem Fall wurden mit der Kamera sogar etwa doppelt so viele Wale in Schiffsnähe erkannt. Nach Schätzungen der Forscher können damit Großwale wie Blau-, Finn-, Glatt- oder Grauwale sowohl am Tage als auch bei Nacht bis auf eine Entfernung von fünf Kilometern automatisch an ihrem Blas erkannt werden.

Bei Dunkelheit, so zeigten die Vergleichsmessungen, ist die Datenqualität der Wärmebildkamera wegen der fehlenden Lichtreflexionen auf der Wasseroberfläche sogar noch höher als am Tage. Fehleranfällig zeigte sich der Wal-Detektor lediglich, wenn viele Vögel gleichzeitig durch das Sichtfeld der Kamera flogen oder zahllose kleinere Eisbrocken auf der Wasseroberfläche trieben. „Unsere Auswertungssoftware haben wir bisher vor allem auf Fahrten im offenen Wasser zugeschnitten, denn vor allem dort kommen Luftpulser für seismische Untersuchungen zum Einsatz“, so Zitterbart.

Bestandsaufnahme inklusive

Der Forscher arbeitet nach dem erfolgreichen Härtetest für Technik und Software schon an der nächsten System-Erweiterung: „Wir haben jetzt eine zweite, normale Kamera an das Infrarot-System gekoppelt. Sie fotografiert vom Krähennest aus automatisch jeden vom System gemeldeten Wal. Auf diese Weise können wir im Anschluss seine Art bestimmen und erhalten Daten über die Größe und Verteilung der Großwal-Populationen“, sagt Zitterbart. Ein weiteres Plus: Der Wärmebild-Waldetektor gibt für jeden detektierten Wal auch die Standort- und Entfernungsdaten an. Mit deren Hilfe können die AWI-Wissenschaftler dann Bewegungsprofile der Tiere erstellen und ihr Verhalten bei Begegnungen mit Schiffen untersuchen.

Das bewährte Wal-Ortungssystem soll ab dem kommenden Jahr dauerhaft am Krähennest Polarsterns installiert und dann in zunehmendem Maße bei Expeditionen genutzt werden. Das Entwicklerteam plant außerdem, das System in Meeresgegenden mit einer Wassertemperatur von mehr als zehn Grad Celsius zu testen. (PLOS ONE, 2013; doi: 10.1371/journal.pone.0071217)

(Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, 13.08.2013 – SEN)

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