Technik

Locked-in Patienten: Pupillengröße ermöglicht Kommunikation

Die Veränderung der Pupillengröße liefert die Antworten, wenn Sprache anderweitig unmöglich ist

Nur unwillkürlich beeinflussbar: die von der Iris umgebene Pupille. © Laitr Keiows / CC-by-sa 3.0

Schlaganfallpatienten ohne Sprachvermögen können in Zukunft wieder in Kontakt zu ihrer Umwelt treten – über ihre Augen. Mit Hilfe einer einfachen Vorrichtung – nur Laptop und Kamera – wird dazu lediglich ihre Pupillengröße gemessen. Die Veränderung der Pupille zeigt dann die Antworten auf ja/nein-Fragen an. Das Besondere: Die Methode erfordert keine Spezialausrüstung oder aufwendiges Training.

Die Pupillengröße können wir nicht bewusst steuern, die Bewegung der umgebenden Iris geschieht unwillkürlich. Es ist bekannt, dass die Pupille sich bei aufregenden Ereignissen sichtbar weitet. Dagegen fast unbemerkt weitet sie sich auch bei einer Reihe anderer geistiger Anstrengungen wie beispielsweise der Entscheidungsfindung oder beim Lösen von Mathe-Aufgaben. Dies machte sich ein internationales Neurophysikerteam um Wolfgang Einhäuser-Treyer von der Philipps-Universität Marburg jetzt zu Nutze: Sie entwickelten eine Methode, die es Patienten nach einem Hirnschlag ermöglicht, wieder mit ihrer Umwelt zu kommunizieren. Die Wissenschaftler beschreiben ihre Methode in der Fachzeitschrift „Current Biology“.

Bei richtiger Antwort: Mathe-Aufgabe

Das Forscherteam forderte in ihrer Studie sechs gesunde Probanden in je 30 unterschiedlichen Frageszenarien auf, ein mathematisches Problem nur dann zu lösen, wenn die richtige Antwort auf eine ja/nein-Frage auf dem Bildschirm erschien. Die mentale Anstrengung, die die Rechenaufgabe hervorrief, verursachte automatisch eine Pupillenvergrößerung. Diese konnten die Wissenschaftler mittels einer Kamera messen und somit in eine korrekte Antwort auf Fragen wie „Sind Sie 20 Jahre alt?“ übersetzen. Dabei spielte es keine Rolle, ob das richtige Ergebnis errechnet wurde. Die Mathe-Aufgabe diente den Probanden lediglich als Möglichkeit, aktiven Einfluss auf ihre geistige Anstrengung und somit auf ihre Pupillenveränderung zu nehmen.

„Es ist bemerkenswert, dass ein scheinbar so einfaches physiologisches System wie das der menschlichen Pupille über eine so große Bandbreite an Reaktionen verfügt, dass es eine so komplexe Aufgabe wie Kommunikation erfüllen kann“, unterstreicht Einhäuser-Treyer. Dabei sei es nicht einmal notwendig, Kommunikationshilfsmittel einzusetzen, die der bewussten Steuerung unterliegen, wie zum Beispiel Blinzeln. Die unbewusste Pupillenreaktion ermögliche so insbesondere den Menschen die Kommunikation, die ihre Muskeln nicht mehr willkürlich steuern können.

Funktionsweise der Methode bei einer gesunden Kontrollperson: Oben links: Ansicht der Versuchsanordnung mit dem vom Probanden benutzten Computerbildschirm rechts im Bild. Oben rechts: Ansicht des Stimulus auf dem Bildschirm des Probanden. Links unten: Online-Nachverfolgung der Pupillenveränderung. Unten rechts: Bedienerbildschirm mit Aufnahme der Pupille.
Tonspur: Die Versuchsleiterin liest die Frage vor (“Is you name Josef?”); im Abstand von 5 Sekunden gibt das System die Antworten „nein“ und „ja“ (in diesem Fall korrekt).
© Philipps-Universität Marburg /Josef Stoll

Chance zur Kommunikation für Locked-In-Patienten

Um zu testen, ob vollständig gelähmte Patienten tatsächlich mit dieser Pupillenmethode kommunizieren können, führten die Forscher das gleiche Experiment mit sieben Probanden mit Locked-in-Syndrom durch. Bei diesem meist durch einen Hirnschlag ausgelösten Syndrom kann der Patient sich nicht mehr bewegen und auch nicht mehr sprechen oder durch willkürliches Blinzeln kommunizieren. Er ist bei vollem Bewusstsein buchstäblich in seinem bewegungslosen Körper eingesperrt.

Wie sich zeigte, funktionierte die Pupillenmethode zumindest bei einigen diesen Patienten: Bei dreien konnten die Forscher in der Mehrheit der Fälle richtig erraten, ob Ja oder Nein gemeint war, bei drei weiteren waren die Ergebnisse zwar nicht signifikant, aber eine Tendenz war erkennbar, so die Wissenschaftler. „Es hat uns beeindruckt, dass unsere Methode bei gesunden Probanden fast perfekt funktionierte und dann direkt auf hirngeschädigte Patienten übertragen werden konnte, ohne dass diese Training benötigten oder wir die Parameter anpassen mussten“, sagt Einhäuser-Treyer.

Die neue Methode kann vermutlich nicht nur den Patienten helfen, deren Kommunikationsfähigkeit beispielsweise nach einem Hirnschlag stark beeinträchtigt ist. Sie könnte auch dazu beitragen, den Zustand von Patienten zu erfassen, deren Bewusstseinsgrad unbekannt sei, erklärte das Forscherteam. So ergab ein Test mit einem Patienten in einem minimalen Bewusstseinszustand, der zu keiner offensichtlichen Kommunikation fähig war, dass auch er die Aufgaben zu lösen versuchte – erkennbar an seinen Pupillen.

Keine komplizierte Technik nötig

Zwar ist die Methode derzeit noch nicht so schnell und zuverlässig, wie die Neurophysiker sich das wünschen. Dennoch ist Einhäuser-Treyer zuversichtlich, dass diese technischen Hürden leicht genommen werden können. „Die Messungen der Pupillenveränderungen können bereits einen wichtigen Beitrag zum Kommunikationsvermögen von Patienten leisten, die keine andere Option haben“, betonte er. „Für Patienten mit verändertem Bewusstseinszustand – zum Beispiel im Koma oder Wachkoma – bedeutet jede Art von Kommunikation eine substantielle Verbesserung und damit einen Zuwachs an Lebensqualität.“

Andere Methoden, die die direkte Kommunikation durch Gehirnaktivität anstreben, sogenannte Brain-Computer-Interfaces, wie beispielsweise die Hirnstrommessung (EEG) sind in der Anwendung viel komplizierter. Die in Marburg entwickelte Methode dagegen ist einfach einzusetzen und benötigt keine teure Spezialausrüstung, sondern lediglich Kamera und Laptop. (Current Biology, 2013; doi: 10.1016/j.cub.2013.06.011)

(Philipps-Universität Marburg, 06.08.2013 – SEN)

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