Archäologie

Kinderopfer der Inka starben betäubt

Alkohol und Kokain im Haar von drei Inkamumien zeugen von letzten Monaten der rituellen Opfer

Die "Jungfrau" - ein vor 500 Jahren von den Inka geopfertes 13-Jähriges Mädchen. © Johan Reinhard

Vor rund 500 Jahren opferten die Inka drei Kinder auf einem Andengipfel, deren Mumien blieben bis heute erhalten. Haaranalysen der drei Mumien zeigen nun: Die geopferten Kinder wurden offenbar durch Alkohol und Coca betäubt, bevor sie lebendig eingeschlossen und dem Erfrieren ausgesetzt wurden. Die Ergebnisse liefern zudem neue Einblicke in die Ritual-Praktiken der Inka und zeigen, wie die als Opfer auserwählten Kinder auf ihren Tod vorbereitet wurden, berichtet ein internationales Forscherteam im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“.

In vielen frühen Kulturen der Andenregion waren Menschenopfer und rituelle Tötungen durchaus üblich. Die Inka allerdings hatten diese Opferrituale zu einem ausgefeilten Programm entwickelt, wie Andrew Wilson von der University of Bradford in England und seine Kollegen berichten. Starb ein Inkaherrscher oder wurde ein neues Gebiet eingenommen, mussten unterworfene Stämme als Tribut Kinder auswählen, die zunächst aufgepäppelt wurden, und dann in einem Pilgerzug in die Hauptstadt Cuzco oder an eine andere Opferstätte geführt wurden.

„Spanische Missionare berichten, dass die Eltern dabei keine Trauer zeigen durften und es als Ehre ansehen mussten, wenn ihre Kinder auserwählt wurden“, so die Forscher. Was genau mit den kindlichen Opfern nach ihrer Auserwählung geschah, beginnen Archäologen erst nach und nach zu enträtseln.

Tod vor rund 500 Jahren

Wichtigste Helfer dabei sind die Mumien von drei Kinderopfern, die 1999 in einem Schrein nahe des Gipfels des 6.739 Meter hohen Andenvulkans Llullaillaco entdeckt wurden. Das 13-jährige Mädchen – „La Doncella“ (die Jungfrau) getauft-, ein 4-5 Jahre altes Mädchen und ein gleichaltriger Junge waren in ihrem steinernen Grab im Schneidersitz hockend durch den Dauerfrost mehr als 500 Jahre lang konserviert worden. Bereits nach erster Untersuchung hatten Archäologen damals festgestellt, dass die Kinder keine äußeren Verletzungen zeigten und daher wohl nicht gewaltsam zu Tode kamen.

Im Schneidersitz und mit gesenktem Kopf - die "Jungfrau" bei der Untersuchung im Labor. © José Fontanelli / CC-by-sa 2.0

Darauf deuten auch die Position und die Umgebung der „Jungfrau“ hin, wie Wilson und seine Kollegen erklären. Denn das Mädchen saß scheinbar entspannt mit überkreuzten Beinen und nach vorne gesunkenem Kopf da. Die ordentlich um sie herum angeordneten Keramikteller und -schalen schienen unberührt, ebenso der Federschmuck, den die junge Frau über einem dunklen Tuch auf dem Kopf trug. Sie hatte zudem noch im Tode eine Rolle aus Coca-Blättern im Mund. „Dies deutet darauf hin, dass sie betäubt war, als sie hier hineingesetzt wurde und die Artefakte um sie herum arrangiert wurden“, sagen die Forscher.

Alkohol und Coca für die rituellen Opfer

Um herauszufinden, ob dies tatsächlich so war, haben Wilson und seine Kollegen nun die Haare aller drei Kindermumien auf Spuren von Rauschmitteln oder Drogen untersucht. Die Haaranalysen ergaben, dass alle drei Kinder zum Zeitpunkt ihres Todes sowohl Alkohol als auch Coca-Blätter konsumiert hatten. In den Haaren fanden sich sowohl Abbauprodukte des Alkohols als auch Kokain, der Hauptwirkstoff, den Coca-Blätter beim Kauen mit Kalk freisetzen.

Beide Drogen erzeugen veränderte Bewusstseinszustände, die in der Kultur der Inka als heilig galten. Und beide wurden den drei Kindern bereits Monate vor ihrem Tod regelmäßig verabreicht – entweder um sie in diese Rauschzustände zu versetzen oder um sie gefügig zu machen. Vor allem die „Jungfrau“ hatte in den letzten Wochen vor ihrem Tode besonders viel Alkohol zu sich genommen.

Einschneidende Veränderung ein Jahr vor ihrem Tod

Das lange, zu einem Zopf geflochtene Haar der „Jungfrau“ ermöglichte es den Forschern zudem, auch die Ernährung und den Drogenkonsum während der letzten zwei Jahre ihres Lebens zu rekonstruieren. Demnach begann sie rund ein Jahr vor ihrem Tod abrupt, besonders viel nährstoffreichen Mais und dessen Produkte zu essen. Gleichzeitig stiegen auch ihr Konsum von Coca-Blättern und Alkohol an.

„Die Schnelligkeit und das Ausmaß dieser Veränderungen ist am besten damit zu erklären, dass das Mädchen zu diesem Zeitpunkt als rituelles Opfer auserwählt wurde und sich damit auch ihr Leben und ihr Status änderten“, sagen die Wissenschaftler. Schon zuvor sei vermutet worden, dass vor allem ältere Mädchen unter den Auserwählten zunächst wie hochrangige Inkas behandelt wurden. Bei Beginn der Pubertät wurden sie dann entweder als Priesterinnen eingesetzt, an reiche Inkas verheiratet oder aber als Teil der Capacocha-Riten geopfert – wie im Falle der „Jungfrau“ und ihrer beiden Begleiter der Fall.

Betäubt und umso schneller erfroren

Die Forscher schließen aus ihren Analysen der archäologischen und medizinischen Daten, dass die beiden Mädchen und der Junge betäubt waren, als sie in ihre Gräber eingeschlossen wurden und sich daher nicht wehrten. Der Alkohol könnte dabei zum einen ihr Kälteempfinden betäubt, zum anderen aber ihre Auskühlung beschleunigt haben. Denn er hemmt das wärmende Muskelzittern und fördert das Absinken der Kerntemperatur. Bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt könnten dann alle drei erfroren sein, bevor sie wieder zu sich kamen. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2013; doi: 10.1073/pnas.1305117110)

(PNAS, 30.07.2013 – NPO)

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