Ab ist ab! – Wird ein Finger, ein Arm oder ein Bein durch einen Unfall oder Krankheit vom Körper des Menschen abgetrennt, bleibt ein Stumpf zurück: Körperteile wachsen nicht nach. Doch bei einigen Tierarten wie beispielsweise Salamandern regenerieren sich verlorene Körperteile oder Organe durchaus. Manchen Plattwurmarten wächst sogar ein abgetrennter Kopf wieder nach. Genau bei diesen Wesen haben nun gleich drei unterschiedliche Forscherteams Faktoren identifiziert, die den Prozess des Nachwachsens regulieren. Die Ergebnisse sind ein erster Schritt in der Grundlagenforschung der regenerativen Humanmedizin.
Die weltweite Gemeinde der Regenerationsforscher hat ein Lieblingstier: den Plattwurm Schmidtea mediterranea. Dieses Tier ist für seine erstaunliche Regenerationsfähigkeit bekannt und avancierte deshalb zum Modellorganismus der Wissenschaftler. „Wir können den Plattwurm in 200 Teile zerschneiden, und aus jedem Schnipsel wächst wieder ein neuer Wurm“, erklärt Jochen Rink vom Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik – einer der Hauptautoren der drei Publikationen im Fachmagazin „Nature“.
Im Rahmen der aktuellen Untersuchungen haben er und sein Team sich ausnahmsweise auch für einen nahen Verwandten ihres Laborhaustiers interessiert, nämlich für den Plattwurm Dendrocoelum lacteum. Diese Art kann zwar den Schwanz regenerieren, aber im Gegensatz zu seinem Verwandten kann D. lacteum keine neuen Köpfe auf Schwanzteilen wachsen lassen. Wie die beiden anderen Forscherteams aus den USA und Schweden wollten Rink und seine Kollegen nun herausfinden, was diesem Unterschied zugrundeliegt.
Die Forscher konnten zeigen, dass für das Fehlen der Regenrationsfähigkeit bei D. lacteum eine Nachrichtenkette verantwortlich ist, an deren Ende ein Molekül namens ß-Catenin steht. Genau dieses Endprodukt der Signalkette haben Rink und seine Kollegen mit gentechnischen Methoden gehemmt und so den Würmern vorgegaukelt, dass der gesamte Signalweg auf „aus“ geschaltet ist. Das Ergebnis: Selbst an der abgeschnittenen Schwanzspitze von Dendrocoelum lacteum wuchs nun ein neuer, voll funktionsfähiger Kopf mit Gehirn, Augen und Mund. Die anderen Forscherteams kamen zu ähnlichen Ergebnissen, die nahelegen, dass nur wenige Signalwege für die Regenerationsfähigkeit verantwortlich sind. Für Rink war dies eine erstaunliche Erkenntnis: „Wir dachten, wir müssten hunderte Hebel in Bewegung setzen, um Regenerationsfähigkeit entscheidend zu beeinflussen. Offenbar reichen aber einige wenige Schaltstellen, an denen man ansetzen muss.“
Der Mensch ist kein Plattwurm
Auf die Frage, ob die neuen Erkenntnisse auch auf den Menschen anwendbar sind, bremst Rink allerdings die Erwartungen: Es handele sich bisher ausschließlich um Grundlagenforschung. Aber: „Das ist ein wichtiger erster Schrit“, betont er. „Unsere Experimente haben nun erst einmal gezeigt, dass man über Vergleiche zwischen regenerierenden Arten und ihren nicht-regenerierenden Verwandten die genetischen Knotenpunkte identifizieren kann, die für ein Nachwachsen ausschlaggebend sind.“
In einem Begleitkommentar im Magazin „Nature“ ergänzt András Simon vom schwedischen Karolinska-Institut in Stockholm. „Die künstliche Aktivierung der Regeneration eines Kopfes ist hier bei Wesen gelungen, die prinzipiell regenerative Fähigkeiten besitzen. Etwas Vergleichbares bei nicht-regenerativen Organismen zu erreichen, zu denen der Mensch und die meisten Säugetiere gehören, ist etwas ganz anderes“, schreibt der Wissenschaftler. Dennoch seien die Ergebnisse ermutigend: „Vielleicht wird man eines Tages in der Lage sein, durch die Manipulation einzelner Signalwege zumindest die regenerativen Antworten menschlicher Gewebe positiv beeinflussen zu können“, so Simon.
(Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik, 25.07.2013 – MVI)