Der antarktische Lake Vostok liegt unter mehr als drei Kilometer dickem Eis und ist seit 15 Millionen Jahren von der Oberfläche isoliert. Deshalb galt er bisher nicht gerade als lebensfreundlich. Doch jetzt zeigt sich: Trotz Dunkelheit, eisigem Wasser und wenigen Nährstoffen existieren im Wasser dieses Sees tausende verschiedener Lebensformen. Das haben US-Forscher festgestellt, nachdem sie Eisproben aus der Grenzzone zwischen See und Deckeis analysiert haben. Sogar Indizien für höhere Lebensformen wie Fische und Krebse fanden sich.
Lake Vostok ist der siebtgrößte See der Erde – und der größte, der ständig komplett unter einer Eisdecke liegt. Doch das war nicht immer so. Bis vor rund 35 Millionen Jahren herrschte in der Antarktis ein mildes Klima, es gab zahlreiche Pflanzen und eine vielfältige Tierwelt. Auch der Vostok-See war damals vermutlich ein reich bevölkertes Biotop. Doch vor 34 Millionen Jahren kühlte sich das Klima plötzlich ab, Gletscher bildeten sich und auch der See wurde von Eis überdeckt. Eine Zeitlang taute die Eisdecke im Sommer noch auf. Aber vor rund 15 Millionen Jahren hatte auch das ein Ende: Das Eis isolierte den See dauerhaft von der Außenwelt und wurde so dick, dass auch kein Licht mehr in die Tiefe vordrang.
Lebensfeindlich und steril oder exotische Oase?
Ob und was im Wasser des Sees heute noch lebt, war bisher weitgehend unbekannt, da bisher aus Angst vor einer möglichen Kontamination des Sees keine Proben flüssigen Seewassers gezogen wurden. In den letzten Jahren haben Forschergruppen aber Bohrungen bis knapp oberhalb des Wasserspiegels durchgeführt und so erste Proben von gefrorenem Seewasser aus dieser Grenzschicht gewonnen. Denn dort, wo das kalte Gletschereis mit dem Seewasser in Berührung kommt, gefriert dieses und lagert sich so an die Unterseite des Gletschereises an.
Vier Proben aus einer solchen Bohrung haben Scott Rogers von der Bowling Green State University in Ohio und seine Kollegen in zweijähriger Arbeit nun analysiert. Die Proben stammen aus 3.563 bis 3.621 Metern Tiefe und stammen damit aus dem Eis, das aus Seewasser entstanden ist. Um mögliche Bewohner des Sees zu identifizieren, entschlüsselten die Forscher im Eis enthaltene DNA- und RNA-Sequenzen und bestimmten über sie die im Wasser vorkommenden Organismen.
Tausende von Arten aus Süß- und Salzwasser
Das überraschende Ergebnis: Statt einer spärlichen, artenarmen Lebenswelt fanden die Forscher das Erbgut von tausenden verschiedenen Organismen. Die meisten von ihnen – 94 Prozent – gehörten zu den Bakterien, es waren aber auch Pilze und Vertreter der Archaeen darunter, einer sehr ursprünglichen Gruppe von Einzellern. Das sei sehr viel mehr als erwartet. „Das zeigt, wie Organismen selbst an Orten überleben können, die wir früher für absolut lebensfeindlich hielten“, so Rogers. „Die Grenzen dessen, was als habitabel gilt und was nicht, verschieben sich immer weiter.“
Unter den zahlreiche Mikroben des Sees sind sowohl Vertreter von Süßwasserarten als auch von normalerweise im Ozean vorkommenden Bakterien. Nach Ansicht der Forscher deutet das darauf hin, dass der Lake Vostok einst eine direkte Verbindung zum Südpolarmeer besaß. Sein Wasser war vielleicht ursprünglich sogar salzig und wurde erst durch schmelzendes Eis des über ihm liegenden Gletschers nach und nach süßer. Neben vielen kälteangepassten Bakterien und Archaeen identifizierten die Wissenschaftler auch Vertreter hitzeangepasster Spezies. Das spricht möglicherweise dafür, dass hydrothermale Schlote am Seegrund existieren, die warmes Wasser abgeben.
Vielleicht sogar Krebse und Fische
Und noch etwas enthüllten die Ergebnisse: Viele der im Eis identifizierten Bakterienarten kommen normalerweise in enger Gemeinsschaft mit vielzelligen Tieren vor: Man habe bakterielle Sequenzen von Kommensalen und Parasiten gefunden, die sonst in verschiedenen Krebsen, Würmern, mit Seeanomen, aber auch in und an Fischen leben. Hinzu kommt, dass einige der analysierten DNA-Bruchstücke sogar direkt von solchen höheren Tieren stammen könnten.
„Das führt zu der vorsichtigen Schlussfolgerung, dass es zumindest einige mehrzellige, komplexe Tiere im See geben könnte“, sagen die Forscher. Zwar sei es theoretisch auch möglich, dass einige der DNA-Sequenzen durch Kontamination in die Proben gelangt seien. „Aber angesichts der großen Menge und Vielfalt der Sequenzen ist es nur schwer vorzustellen, dass sie alle aus Verunreinigungen des Eises stammen sollen“, konstatieren Rogers und seine Kollegen. (PloS ONE, 2013, )
(Bowling Green State University, 09.07.2013 – NPO)