Geowissen

Wie kann eine bessere Hochwasservorsorge aussehen?

Forscher schlagen Vier-Punkte-Plan vor, um Betroffene künftig besser zu schützen

Hochwasser an der Mulde am 4. Juni 2013 © André Künzelmann / UFZ

Noch steht in vielen Überschwemmungsgebieten das Wasser. Doch schon jetzt machen sich Forscher Gedanken darüber, wie man katastrophale Folgen bei künftigen Hochwasser-Ereignissen vermeiden kann. Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) haben dafür ein Vier-Säulen-Modell entwickelt. Demnach ist neben Deichen und anderen technischen Schutzmaßnahmen vor allem mehr Raum für die Flüsse nötig. Um die Betroffenen besser abzusichern, sollten sie gefördert werden, wenn sie privat für Hochwasserschutz sorgen. Auch die Versicherungen müssen nach Ansicht der Forscher nachbessern.

In ihrer Stellungnahme warnen die Hochwasserforscher Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) vor der Illusion, es sei möglich, die Schäden der Fluten praktisch auf Null zu reduzieren, wenn nur genug investiert werden würde. „Wir können uns vor Hochwasser nicht vollständig schützen. Es wird immer ein Restrisiko von Schäden z.B. durch Deichbrüche geben“, konstatieren die Forscher. Der Gedanke eines hundertprozentigen Hochwasserschutzes sei genauso irreführend wie der Gedanke, dass zukünftig Schäden vermieden werden könnten, wenn Planfeststellungsverfahren beschleunigt und die Bürgerbeteiligung beschränkt werde.

„Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Dialoge über die Frage, wie wir am besten für Hochwasserextreme in der Zukunft vorbereitet sind“, schreiben die Ökonomen, Geographen und Landschaftsplaner, die vorschlagen, die zukünftige Hochwasservorsorge auf vier Säulen zu stellen, um Schäden so gering wie möglich zu halten und Lasten gerecht zu verteilen.

Erste Säule: Technischer Hochwasserschutz

Allein in Sachsen wurde seit der Flutkatastrophe 2002 über eine halbe Milliarde Euro in den technischen Hochwasserschutz investiert. Bis 2020 sind insgesamt rund eine Milliarde Euro für Betonmauern, Spundwände, Deiche etc. geplant. Kommunen und Bewohner erhoffen sich davon, dass ihre Siedlungen künftig besser oder gar vollständig geschützt wären. In einer 2005 durchgeführten repräsentativen Befragung des UFZ haben von 404 durch das Hochwasser 2002 betroffenen Haushalten mehr als 60 Prozent der Bewohner von Gemeinden im Einzugsgebiet der Mulde der Aussage zugestimmt, dass Deiche ein Gefühl der Sicherheit vermitteln.

„Dieses gestiegene Sicherheitsgefühl birgt jedoch auch Risiken. Es wird mehr gebaut als zuvor. Wenn die Mauer bricht oder überflutet wird, dann sind die Schäden anschließend umso größer“, berichtet der Sozialgeograph Christian Kuhlicke, der am UFZ Naturgefahren untersucht und die Folgen des Mulde-Hochwassers in Eilenburg und Grimma analysiert hat. „Auch darum greift es zu kurz, allein auf den technischen Schutz zu setzen.“

Zweite Säule: Mehr Raum für die Flüsse

Deutschlandweit sind inzwischen zwei Drittel der ehemaligen Überschwemmungsgebiete durch Deichbau und andere Hochwasserschutzmaßnahmen verloren gegangen. An den großen Strömen wie Rhein, Elbe, Donau und Oder ist die Situation zum Teil noch drastischer. Mitunter stehen an vielen Abschnitten nur noch zehn bis zwanzig Prozent der ehemaligen Auen als Überschwemmungsflächen zur Verfügung. Diese Auen erfüllen aber neben der Reinigung des Wassers auch eine wichtige Funktion im Ernstfall: Sie halten die Wassermengen möglichst lange in der Fläche und puffern somit die Spitzen der Hochwasserwellen ab.

Überschwemmungen in der Stadt Eilenburg an der Mulde im Juni 2013 © André Künzelmann / UFZ

Einige Zentimeter weniger können an vielen Stellen entscheiden, ob eine Schutzmauer und die Siedlung dahinter überflutet werden oder nicht. Würden alle Rückdeichungs-Maßnahmen realisiert, die an der Elbe im Gespräch sind, dann würden sich die Wassermassen auf über 23.000 Hektar zusätzlich verteilen können, was rund ein Drittel mehr Fläche wäre. „Obwohl die Elbe mit solchen Planungen bundesweit bereits sehr weit ist, gestaltet sich auch hier die Umsetzung dieser Vorhaben häufig sehr zeit- und ressourcenaufwendig, da neben neuen Deichlinien im hohen Maße die Flächenverfügbarkeit geklärt werden muss und Nutzungsänderungen insbesondere in der Landwirtschaft abzustimmen sind“, erklärt Mathias Scholz, Auenexperte des UFZ.

Das erste umgesetzte, großflächige Projekt dieser Art ist die Deichrückverlegung des Roßlauer Oberluchs bei Dessau im Biosphärenreservat Mittelelbe. Im Rahmen einer Deichrekonstruktion wurde hier nach mehr als zehn Jahren Vorbereitung im Jahr 2006 eine Überschwemmungsfläche von rund 140 Hektar durch das Land Sachsen-Anhalt reaktiviert. Insgesamt bieten solche Rückdeichungen die Chance, einen nachhaltigen und modernen Hochwasserschutz mit Naturschutzzielen zu verbinden und damit Ressourcen für künftige Generationen zu sichern.

Dritte Säule: Private Bauvorsorge muss gefördert werden

Laut Wasserhaushaltsgesetz sind bereits jetzt potenzielle Betroffene verpflichtet, „geeignete Vorsorgemaßnahmen zum Schutz vor Hochwassergefahren und zur Schadensminderung zu treffen, insbesondere die Nutzung von Grundstücken den möglichen nachteiligen Folgen für Mensch, Umwelt oder Sachwerte durch Hochwasser anzupassen“. Ohne konkrete Verpflichtungen oder ökonomische Anreize wird diese Forderung nach Ansicht der Forscher aber reine Theorie bleiben.

Wenn die Verantwortung für den Hochwasserschutz zunehmend von der öffentlichen Hand auf die potenziell Betroffenen übertragen wird, dann werden die Bürger zum Manager ihres eigenen Risikos.

„Wie viel diese dann in Hochwasserschutz investieren, hängt nicht nur davon ab, wie hoch sie das Risiko einschätzen, sondern auch welche Mittel sie dafür zur Verfügung haben“, erläutert UFZ-Ökonom Volker Meyer. „Wer wird sich zukünftig welchen individuellen Schutzgrad leisten können? Was passiert eigentlich mit denen, die sich keinen Schutz leisten können?“ Die UFZ-Forscher empfehlen daher in ihrem Standpunkt auch private Vorsorgemaßnahmen finanziell zu fördern – z.B. durch zinsgünstige Kredite, die an eine dem Hochwasser angepasste Bauweise bzw. Sanierung gebunden sind, oder durch reduzierte Versicherungsprämien.

Vierte Säule: Die Versicherungen müssen nachbessern

Selbst durch eine Kombination von technischer, natürlicher und privater Hochwasservorsorge können aber nicht alle Schäden vermieden werden – es verbleibt ein Restrisiko. Soforthilfen wie das jetzige Acht-Milliarden-Programm von Bund und Ländern lindern das Leid. Sie helfen aber nicht, das Problem an den Wurzeln zu packen. „Eine Versicherungspflicht für alle Gebäudeeigentümer würde die Kosten für entstandene Schäden solidarisch umlegen und über Prämiennachlässe einen ökonomischen Anreiz für die private Vorsorge gegen Elementarschäden wie Hochwasser, Starkregen und Schneedruck mit sich bringen“, gibt Reimund Schwarze vom UFZ zu bedenken.

Forderungen nach einer Versicherungspflicht sind nicht neu. Die deutsche Bundesregierung hat bereits nach dem Hochwasser 2002 die Einführung einer Pflichtversicherung für Elementarschäden erwogen. Dieser Vorstoß ist leider an den Mühlen der Bürokratie und am kollektiven Vergessen gescheitert. Die Lage für die am schlimmsten Betroffenen hat sich damit nicht nachhaltig verändert. Zur Zeit ist zwar etwa jedes dritte Gebäude gegen Elementarschäden versichert, allerdings gelten 1,4 Prozent immer noch als „unversicherbar“, weil sie in Gebieten liegen, die statistisch alle zehn Jahre überflutet werden. Damit hat etwa eine Million Menschen keine Chance auf einen regulären Versicherungsschutz.

Nach jedem Großereignis werden – wie in Dresden 2002 – die Policen „individuell überprüft“ und häufiger teurer als zuvor. Das Problem der Verfügbarkeit von Versicherung wird durch den Klimawandel verschärft, weil neue Gebiete in unversicherbare Zonen hinein wachsen. „Ein solidarisches Modell der Versicherungspflicht scheint daher angebracht“, sagt Klimaökonom Reimund Schwarze. Eine sorgfältig ausgestaltete Versicherungspflicht könne die Kosten für entstandene Schäden dabei so umlegen, dass ökonomische Anreize für die Vorsorge gegen Hochwasser und Starkregen nicht verloren gehen. Im solidarischen Verbund wären auch seltene oder lokale Extremereignisse wie Sturmflut, Erdbeben oder Erdsenkungen flächendeckend versicherbar

Aus Sicht der Wissenschaftler ist jetzt eine gesellschaftliche Debatte nötig: Wie viel Verantwortung der Staat übernehmen sollte und wie viel Verantwortung bei den Bewohnern der Hochwassergebiete bleibt. Gebraucht werden nicht nur Bürgerdialoge zu einzelnen Schutzmaßnahmen vor Ort, sondern ein breiter gesellschaftlicher Dialog über die Risiken, die die Gesellschaft und ihre Bürger bereit sind, im Zusammenhang mit Hochwasser zu tragen und darüber, wie die Kosten für die Hochwasservorsorge verteilt werden.

(Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), 19.06.2013 – NPO)

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