Umwelt

Pestizide gefährden Artenvielfalt in Gewässern

Schon geringe Dosen von Pflanzenschutzmitteln senken Artenzahl um 42 Prozent

Insektenarten wie diese Kleinlibelle sind durch Pestizideinträge besonders bedroht. © André Künzelmann/UFZ

Die Schadwirkung von Pestiziden bestätigt sich erneut: Sie haben die Artenvielfalt in europäischen Gewässern stellenweise um bis zu 42 Prozent gesenkt – und das bereits bei Konzentrationen, die nach den europäischen Vorschriften als unbedenklich gelten. Das hat die Untersuchung eines internationalen Forscherteams ergeben. Besonders betroffen sind von der Pestizidwirkung demnach wichtige Glieder der Nahrungskette. Das Ergebnis zeige, dass die gängigen Tests die tatsächlichen Folgen der Pflanzenschutzmittel nicht erfassen, hier müsse dringend nachgebessert werden, warnen die Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“.

Pestizide, beispielsweise aus der Landwirtschaft, gehören zwar zu den am besten ökotoxikologisch untersuchten und regulierten Gruppen von Schadstoffen. Dennoch war bisher unbekannt, ob und in welchem Umfang und bei welchen Konzentrationen ihr Einsatz Artenverluste in Gewässern verursacht. Mikhail A. Beketov und Matthias Liess vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig haben dies nun gemeinsam mit Kollegen genauer untersucht. Für ihre Studie verglichen sie den Artenreichtum in Flüssen an mehreren Standorten – unter anderem in der Hildesheimer Börde bei Braunschweig, in Süd-Victoria in Australien und in der Bretagne in Frankreich. Dabei untersuchten sie drei verschiedene Ebenen der Pestizidbelastung: unberührt, leicht verunreinigt oder stark verschmutzt.

Artenvielfalt um 42 Prozent gesunken

Das Ergebnis: Die Forscher stellten signifikante Unterschiede beim Artenreichtum von Wirbellosen fest. In den stark kontaminierten europäischen Standorten war die Artenvielfalt um 42 Prozent geringer als an den unberührten. In Australien zeigte sich ein Rückgang der Insektenarten von 27 Prozent zwischen pestizidbelasteten Standorten einerseits und gering verunreinigten und unberührten andererseits. Verschwunden waren an den belasteten Standorten dabei mehrere Gruppen von Lebewesen, die speziell anfällig für Pestizide sind. Dazu gehören vor allem Vertreter der Steinfliegen, Eintagsfliegen, Köcherfliegen und Libellen.

Diese Organismen zählen zu den arten- und individuenreichsten Besiedlern der europäischen Flüsse, Bäche und Ströme. Sie sind zudem wichtige Mitglieder der Nahrungskette, von ihnen ernähren sich zahlreiche Fische. Sie ermöglichen die biologische Vielfalt der Gewässerlebensräume erst, indem sie als Anzeiger der Wasserqualität für einen regelmäßigen Austausch zwischen Oberflächen- und Grundwasser sorgen.

Schaden schon bei vermeintlich unbedenklichen Konzentrationen

Als besonders besorgniserregend werten die Forscher, dass die verheerenden Auswirkungen der Pestizide auf die Kleinstlebewesen bereits bei Konzentrationen festgestellt wurden, die nach den aktuellen europäischen Vorschriften als unbedenklich gelten. Das deute darauf hin, dass die gesetzlich vorgeschriebenen Höchstmengen die Artenvielfalt der wirbellosen Tiere in Fließgewässern nicht ausreichend schützen. Neue Ansätze, die Ökologie und Ökotoxikologie verbinden, werden daher dringend benötigt.

“Die gegenwärtige Praxis der Risikobewertung gleicht leider einer Autobahnfahrt mit verbundenen Augen“, gibt der Ökotoxikologe Matthias Liess zu bedenken. Denn bisher beruhe die Zulassung von Pestiziden nur auf experimentellen Arbeiten im Labor und in künstlichen Ökosystemausschnitten. Für eine fundierte Bewertung der ökologischen Wirkung dieser chemischen Substanzen müssten die bestehenden Konzepte aber dringend mit der Realität im Freiland abgeglichen werden. „Pestizide werden immer Wirkungen haben auf Ökosysteme, ganz gleich wie rigide die Schutzkonzepte sind. Aber nur wenn validierte Bewertungskonzepte verwendet werden, kann eine realistische Abwägung erfolgen, welche Ökosysteme auf welchem Niveau geschützt werden müssen.“ Die Bedrohung der Artenvielfalt durch Pestizide wurde bisher offenbar unterschätzt. (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2013; doi: 10.1073/pnas.1305618110)

(Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ, 18.06.2013 – NPO)

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