Vor rund 55 Millionen Jahren fiel ein nur mausegroßer Vierbeiner in einen See im heutigen China und starb. Damals nichts Besonderes. Heute aber avancieren seine Überreste zur wissenschaftlichen Sensation. Denn das jetzt von einem internationalen Forscherteam entdeckte Fossil repräsentiert den ältesten bekannten Vertreter der Primaten – und damit auch einen unserer fernen Verwandten. Der gut erhaltene Ur-Primat belegt, dass sich schon damals die Linie der späteren Affen und Menschen von der der heutigen Makis abgetrennt hatte, wie die Forscher im Fachmagazin „Nature“ berichten.
Die Forscher um Xijun Ni von der Chinese Academy of Sciences in Peking entdeckten das Fossil in einer Grabungsstätte in der chinesischen Hubei Provinz, nahe des Jangtse Flusses. Hier gab es vor rund 55 Millionen Jahren einen See, in dessen feinkörnigen Sedimenten sich Fossilien besonders gut erhalten haben. Sie sind in die Schichten des Gesteins eingelagert wie in einen Blätterteig – so auch die Überreste des frühen Primaten. Dadurch hat sich nicht nur dessen Skelett erhalten, ein beidseitiger Abdruck lässt auch die Körperform und äußeren Merkmale des Tieres erahnen.
Mit einem Alter von 55 Millionen Jahren ist das Archicebus achilles getaufte Fossil mehrere Millionen Jahre älter als bisherige Primatenfunde, darunter der 2009 in der Grube Messel bei Darmstadt entdeckte Fossil „Ida“.
Knapp mausgroß, aber spitze Zähnchen
Die genaue Anatomie des Ur-Primaten analysierten die Forscher mit Hilfe der Röntgen-Tomografie. Auf diese Weise mussten sie das filigrane Skelett nicht völlig vom Gestein befreien und riskierten nicht, es bei der Präparation zu beschädigen. Aus den Aufnahmen erstellten konnten die Wissenschaftler ein dreidimensionales Computermodell der winzigen Kreatur, das genauere anatomische Analysen ermöglichte. „Die dreidimensionalen Scans ließen das Wesen gleichsam wieder auferstehen“, sagt Co-Autor Paul Tafforeau von der European Synchrotron Radiation Facility in Grenoble.
Der Ur-Primat Archicebus achilles war demnach nur knapp so groß wie eine Maus: Sein Körper hatte eine Länge von nur 71 Millimeter und sein Gewicht lag bei etwa 20 bis 30 Gramm. Ein rund 13 Zentimeter langer Schwanz ergänzte das winzige Paket. Aus den spitzen Zähnchen und dem Bau seiner Extremitäten schließen die Paläontologen, dass Archicebus in den Bäumen lebte, dort wenig von Ast zu Ast sprang und nach Insekten jagte. Trotz seiner großen Augenhöhlen war er vermutlich nicht nachtaktiv, wie die Forscher berichten. Stattdessen jagte er wahrscheinlich tagsüber und profitierte von seinem guten Sehvermögen.
An der Schnittstelle zu Affen und Menschen
Der neue Fund liefert auch wertvolle Einblicke in die frühe Evolution unserer fernen Vorfahren. Denn seine Merkmale siedeln ihn im Primatenstammbaum an einer wichtigen Verzweigung an: Der Trennung zwischen der Linie der Anthropoidea, zu der Affen und letztlich auch wir Menschen gehören, und den sogenannten Tarsiiformes, der Linie, aus der unter anderem die heutigen Koboldmakis hervorgingen. Ni und seine Kollegen stufen Archicebus achilles aufgrund seiner Merkmale an der Basis des Tarsiiformes-Zweiges an – mit einigen Besonderheiten:
Denn obwohl Schädel, Zähne und weitere Merkmale des Ur-Primaten denen der Makis entsprechen, gleichen Details seines Fußes und der Augen denen der späteren Affen. „Diese Kombination von Merkmalen sowohl der Anthropoiden als auch der Tarsiiformes in einer Art ist einzigartig und unerwartet“, erklären die Forscher. Das zeige, dass sich beide Linien noch nicht lange auseinander entwickelt hatten. Archicebus liefert zudem wertvolle Hinweise darauf, wie sich diese Abtrennung vollzog. (Nature, 2013; doi:10.1038/nature12200)
(Nature, 06.06.2013 – MVI/NPO)