Das Neutrinoteleskop IceCube in der Antarktis hat erstmals Signale registriert, die von kosmischen Neutrinos stammen könnten. Diese „Geisterteilchen“ wechselwirken kaum mit normaler Materie und sind daher schwer nachweisbar. Zudem entstehen auch in der Erdatmosphäre Neutrinos, die die Messungen stören. Die jetzt detektierten Ereignisse sind allerdings so energiereich, dass sie vermutlich nicht aus der Erdatmosphäre stammen, sondern tatsächlich aus den Fernen des Alls, wie die Forscher der internationalen IceCube-Collaboration auf einer Tagung in den USA berichteten.
Neutrinos sind die häufigsten Elementarteilchen überhaupt und gleichzeitig die geheimnisvollsten. In jeder Sekunde rasen 100 Billionen dieser winzigen Partikel mit annähernd Lichtgeschwindigkeit durch unseren Körper – ohne dass wir auch nur das Geringste davon spüren. Eine Wechselwirkung mit der restlichen Materie gehen diese Teilchen nur ein, wenn sie zufällig genau auf einen Atomkern prallen. Dann wird Energie in Form von Licht freigesetzt – und genau über diese winzigen Blitze weisen Forscher die „Geisterteilchen“ nach. Eines der wichtigsten Werkzeuge auf der Suche nach Neutrinos, die als Produkte galaktischer Explosionen oder anderer kosmischer Prozesse entstanden sind, ist das Neutrinoteleskop IceCube in der Antarktis.
IceCube ist der größte Teilchendetektor der Welt und erstreckt sich über einem Kubikkilometer Eis. Der eigentliche IceCube-Detektor besteht aus 86 Kabeltrossen, an denen in Tiefen zwischen 1,45 und 2,45 Kilometern jeweils 60 Glaskugeln mit hochempfindlichen Lichtsensoren angebracht sind. Sie registrieren das schwache bläuliche Aufleuchten, das Atome des Eises abgeben, wenn ein Neutrino mit ihnen kollidiert. Allerdings können Neutrinos auch durch die Wechselwirkung von kosmischer Strahlung mit der Erdatmosphäre entstehen. Die Anzahl solcher „atmosphärischer Neutrinos“, die IceCube bisher aufgezeichnet hat, geht in die Hunderttausende – jedoch haben diese Neutrinos vorwiegend deutlich niedrigere Energien.
„Ernie“ und „Bert“ fallen aus dem Rahmen
Den ersten Hinweis auf extraterrestrische Hochenergie-Neutrinos lieferte im April 2012 die unerwartete Entdeckung von zwei Ereignissen mit Energien knapp über 1 Peta-Elektronenvolt. „Ein Peta-Elektronenvolt ist mehr als tausendmal höher als Energien von Neutrinos, die je mithilfe von Teilchenbeschleunigern auf der Erde erzeugt wurden“, sagt IceCube-Forscher Christian Spiering vom Forschungszentrum DESY. Beide Ereignisse seien die energiereichsten Neutrinosignale, die jemals eingefangen wurden. Die IceCube-Forscher tauften diese beiden ungewöhnlichen Signale liebevoll „Ernie“ und „Bert“.
Eine erneute Suche hat inzwischen weitere 26 Ereignisse mit Energien oberhalb 30 TeV zutage gefördert. In Menge und Energiegehalt liegen sie damit über dem, was man für in der Erdatmosphäre erzeugte Neutrinos erwartet. „Die Anzahl von 28 Ereignissen ist schwer vereinbar mit dem, was man für Neutrinos erwartet, die durch kosmische Strahlung in der Erdatmosphäre erzeugt werden“ , so Spiering. Nach Ansicht der Forscher handelt es sich daher höchstwahrscheinlich um Teilchen, die aus den Weiten des Alls stammen.
„Wir erleben vielleicht gerade die Geburtsstunde der Neutrinoastronomie“, so Markus Ackermann vom DESY in Zeuthen. „In den nächsten Jahren erwarten wir mit IceCube weitere wissenschaftliche Durchbrüche. Und mit den möglichen Erweiterungen PINGU und IceCube++ wollen wir nach den Entdeckungen mit IceCube schon bald den Schritt zu Präzisionsmessungen in der Neutrinophysik und Astronomie mit Neutrinos gehen.“
(DESY, 23.05.2013 – NPO)