Evolution

„Hobbit“ hatte mehr im Kopf als gedacht

Inselverzwergung könnte kleine Größe und geringes Hirnvolumen von Homo floresiensis erklären

"Hobbit" - Rekonstruktion einer Homo floresiensis-Frau © National Museum of Nature and Science, Tokyo

Warum hatten die „Hobbit”-Menschen der indonesischen Insel Flores so kleine Gehirne? Waren diese Frühmenschen krank oder lässt sich dies allein mit ihrem Zwergenwuchs erklären? Einen neuen Beitrag zu dieser seit Jahren diskutierten Streitfrage liefert nun ein japanisches Forscherteam im Fachmagzin „Proceedings of the Royal Society B“. Demnach war das Gehirn dieser vor rund 12.000 Jahren lebenden „Hobbits“ doch nicht so klein wie bisher angenommen. Der urzeitliche Zwergmensch könnte daher durchaus das Ergebnis einer klassischen Inselverzwergung sein – auch wenn ein paar Fragen offen bleiben.

Im Jahr 2003 entdeckten Forscher auf Flores die Fossilien eines extrem kleinen Menschentyps, der noch bis vor rund 12.000 Jahren neben dem normalen Homo sapiens existiert haben muss. Aber ist Homo floresiensis, mit Spitznamen auch „Hobbit“ genannt, wirklich eine eigene Menschenart, oder handelt es sich hier nur um missgebildete oder kranke Exemplare des modernen Menschen? Über diese Frage wird seit Jahren gestritten. Inzwischen gibt es mehrere Theorien zu Evolution der Hobbits – und jede hat ihre Schwachpunkte.

Kleine Statur und Mini-Gehirn als Missbildung?

Zunächst hatten beispielsweise viele Forscher angenommen, dass die winzigen Knochen und speziell der kleine Schädel von kranken beziehungsweise behinderten Angehörigen der Frühmenschenart Homo erectus oder sogar der frühen Homo sapiens stammen. Allerdings konnte diese These später zum größten Teil entkräftet werden. So scheint H. floresiensis beispielsweise ein gewiefter Werkzeugmacher gewesen zu sein und ein sehr aktives Leben geführt zu haben – beides Dinge, die mit einer derart starken Behinderung unvereinbar sind, wie sie durch eine solche Mikrozephalie verursacht werden würde.

Eine zweite These geht davon aus, dass die „Hobbits“ nicht vom Homo erectus, sondern von älteren Frühmenschen wie beispielsweise Homo habilis oder sogar dem Vormenschen Australopithecus abstammten. Diese waren nicht besonders groß und hatten zudem noch recht kleine Gehirne – was beides gut zu den bescheidenen Maßen von H. floresiensis passen würde. Das Problem dabei: Damit das stimmen könnte, müsste die Out-of-Africa-Theorie umgeschrieben werden – denn die besagt, dass Homo erectus der erste Vertreter der Gattung Homo war, der Afrika in Richtung Eurasien verließ.

Verzwergung durch Insel-Leben

Das dritte Szenario ist trotz seiner Schwächen bisher am weitesten akzeptiert: Homo floresiensis war demnach eine eigene Menschenart, die sich aus dem damals bereits auf Java und anderen benachbarten Inseln heimischen Homo erectus entwickelte. Die Anhänger dieser These gehen davon aus, dass eine lange Zeit der Isolation auf der kleinen Insel Flores zu einer klassischen Inselverzwergung geführt hat, wie man sie auch von vielen Tieren wie Waldelefanten und Mini-Rentieren kennt.

Einige Kritiker können sich damit jedoch nicht anfreunden: Sie halten es für ausgeschlossen, dass der kräftige, robuste Homo erectus mit seinem relativ großen Gehirn von etwa 1.000 Kubikzentimetern Volumen den winzigen Homo floresiensis hervorgebracht hat, dessen Gehirnvolumen auf unter 400 Kubikzentimeter geschätzt wird.

Schädel von Homo floresiensis (links) und Homo sapiens (rechts). © BMC Biology

Neue Vermessung einer Hobbit-Dame

Um sich diesem Problem nun erneut zu nähern, haben Daisuke Kubo von der Universität Tokio und seine Kollegen zunächst den Schädel von LB1 neu vermessen, dem Skelett eines vermutlich weiblcihen Vertreters des Homo floresiensis. Dazu fertigten sie mit Hilfe extrem detailreicher CT-Aufnahmen dreidimensionale Modelle der Innenseite des Schädels an und korrigierten sie anschließend – etwa indem sie fehlende Stellen ergänzten, Deformierungen ausglichen und am Knochen haftendes Gestein abzogen, das bei der Ausgrabung nicht entfernt worden war. Heraus kam ein Gehirn, dessen Volumen 426 Kubikzentimeter betrug – und das somit deutlich größer war als die bisher geschätzten knapp 400 Kubikzentimeter.

Als nächstes berechnete das Team, wie groß ein Homo-erectus-Gehirn gewesen wäre, wenn dessen Körper nur die Größe des Hobbits gehabt hätte. Dazu ermittelten sie das Verhältnis von Gehirnvolumen zu Körpergröße bei Homo erectus-Funden und zum Vergleich auch bei 20 verschiedenen Homo-sapiens-Vertretern, sowie bei Homo habilis.

Indiz für Inselverzwergung

Das Ergebnis: Geht man von den Werten für eine Homo-erectus-Frau aus, war das Gehirn von H. floresiensis nur um 10 bis 29 Prozent kleiner, als es bei einer rein proportionalen Verkleinerung hätte sein dürfen. Diese Schrumpfung aber liegt noch durchaus innerhalb der Spannbreite, die für Inselverzwergungen typisch sind. Einen solchen Effekt kennt man auch von Tieren. So war beispielsweise das Gehirnvolumen des mittlerweile ausgestorbenen Madagassischen Zwergflusspferdes ebenfalls um etwa 30 Prozent geringer als es seine Körpergröße erwarten ließ. Und auch die früher auf Mallorca lebende Bergziege hatte ein um 50 Prozent kleineres Gehirn als es hätte sein sollen.

Die Hirnverkleinerung diente vermutlich zum Energiesparen, kommentiert das Team. Denn wenn man keine Feinde in seinem Zuhause hat, braucht man nicht mehr ganz so viel in das energiefressende Hirngewebe zu investieren, ohne in Gefahr zu geraten, gefressen zu werden. Inwiefern H. floresiensis allerdings eingeschränkte kognitive Fähigkeiten hatte, lässt sich heute nicht mehr sagen. Zumindest bei der Werkzeugherstellung scheint das kleine Gehirn kein Problem gewesen zu sein. Möglicherweise hatten die Hobbits ihr Gehirn auch nur anders organisiert, um es effizienter zu machen – doch das sei reine Spekulation. (Proceedings of the Royal Society B , 2013; , doi: 10.1098/rspb.2013.0338)

(Proceedings of the Royal Society B, 17.04.2013 – ILB)

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