Medizin

Gehör: Schutzschalter gegen Lärm identifiziert

Rezeptor im Innenohr passt unsere Hörschwelle der Umgebungslautstärke an

Unser Ohr kann sich kurzzeitig an Lärm anpassen - auf Dauer aber schadet er © SXC

Ein raffinierter Schutzmechanismus sorgt dafür, dass kurzzeitiger Lärm nicht sofort bleibende Schäden an den sensiblen Sinneszellen hinterlässt. Ein Rezeptor fungiert dabei als eine Art Schutzschalter, wie ein internationales Forscherteam herausgefunden hat. Er regelt automatisch die Hörschwelle hoch und verhindert so eine Überlastung des Hörsystems. Wenn wir nach einem lauten Rockkonzert vorübergehend schwerhörig sind, ist das daher kein Anzeichen für einen bleibenden Lärmschaden. Es zeigt vielmehr, dass der Schutzmechanismus greift, wie die Forscher im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ berichten.

„Unser Gehörsinn ist vor allem für seine enorme dynamische Spannbreite bemerkenswert: Er umfasst Lautstärkenunterschiede von mehr als 120 Dezibel, das entspricht rund einer Billion Intensitätsstufen“, erklären Gary Housley von der University of New South Wales in Sydney und seine Kollegen. Ob das sprichwörtliche Fallen einer Nadel oder einen startenden Düsenjäger: Ein eingebauter Verstärker in unserem Ohr sorgt dafür, dass wir sehr leise Geräusche hören, aber auch Lautes überstehen – zumindest wenn der Lärm nicht auf Dauer anhält. Entscheidend für diesen Anpassungseffekt ist die Anpassung der Hörschwelle durch die sogenannten Haarzellen in unserer Cochlea. Sehr leise Geräusche verstärken sie um bis zu 40 Dezibel, bei lauten reagieren sie schwächer und wandeln den Schall weniger effektiv in elektrische Nervensignale um.

Labormäuse im Straßenlärm

Was diesen Anpassungseffekt vor allem bei lautem Lärm auslöst, war bisher nur in Teilen bekannt, wie Housley und seine Kollegen berichten. Eine frühere Studie lieferte aber bereits einen wichtigen Hinweis: War bei Mäusen eine bestimmte Andockstelle für das Signalmolekül ATP im Innenohr gestört, wirkte sich Dauerlärm bei ihnen besonders schädigend aus. Sie entwickelten als Folge relativ schnell eine Schwerhörigkeit für hohe Frequenzen. In ihrer aktuellen Studie gingen die Forscher nun einen Schritt weiter: Sie untersuchten an diesen Mäusen, ob sich ihr Gehör noch an laute Geräusche anpassen kann und ob ihre Hörschwelle trotz des defekten Rezeptors P2X2 noch angehoben wird.

Für die Experimente wurden gesunde Wildtyp-Mäuse und die Mäuse mit dem per Genmanipulation ausgeschalteten Rezeptor jeweils 30 Minuten lang einem Lärm von rund 85 Dezibel ausgesetzt – dies entspricht etwa dem Lärm einer Hauptverkehrsstraße in zehn Metern Entfernung. Vorher und hinterher maßen die Forscher, wie sensibel das Gehör der Tiere auf verschieden laute Pieptöne unterschiedlicher Tonhöhen reagierte. Über verschiedenen Messmethoden ermittelten sie zudem, wie stark die Haarzellen in deren Innenohr jeweils reagierten und mit welcher Intensität sie Nervensignale aussendeten.

Erhöhte Hörschwelle schützt vor Übersteuerung

Das Ergebnis: Wie erwartet sprang bei den Wildtyp-Mäusen der Schutzmechanismus an: Ihre Hörschwelle sank durch den Lärm rapide ab und blieb auch für bis zu zwölf Stunden lang niedrig, wie die Forscher berichten. Eine entscheidende Rolle spielte dafür die Bindung des Signalmoleküls ATP an den Rezeptor. „Das erklärt, warum auch wir nach einem lauten Rockkonzert mehrere Stunden lang schlechter hören: Der Schutzmechanismus ist angesprungen“, erklärt Housley. Nähere Analysen zeigten, dass dieser Effekt absolut umkehrbar ist und nicht auf mechanische Schäden an den Haarzellen zurückgeht. Unsere vorübergehende Taubheit nach dem Konzert sei daher eher ein gutes Zeichen dafür, dass der Schutz funktioniere, so die Forscher.

Wie vorteilhaft das ist, zeigte sich im Vergleich mit den Mäusen, deren P2X2-Rezeptor genetisch deaktiviert war: Bei ihnen stieg die Hörschwelle selbst nach einer halben Stunde Lärm kaum an, wie die Messungen zeigten. Dadurch werden vor allem die Haarzellen in bestimmten Bereichen der Cochlea übersteuert, wie die Forscher erklären. Mäuse mit diesem Defekt hätten dadurch im Laufe der Zeit eine zunehmende Schwerhörigkeit für höhere Frequenzen entwickelt.

Anpassung wirkt aber nicht dauerhaft

„Damit haben wir den bisher ersten molekularen Signalweg und das erste Gen gefunden, die spezifisch die Hörschwelle und damit den Schutz beeinflussen“, konstatieren Housley und seine Kollegen. Individuelle Varianten dieses Rezeptorgens könnten möglicherweise erklären, warum manche sensibler auf Lärm reagieren als andere und im Alter dann eher lärmbedingte Schwerhörigkeiten entwickeln.

„Weil sich die Sensibilität unseres Gehörs anpasst, können wir laute Geräusche verkraften – das aber ist kein vollständiger Schutz“, warnen die Forscher. Denn wenn das Gehör über lange Zeit immer wieder zu viel Lärm aushalten müsse, dann führe das trotzdem zu zunehmenden Schäden. „Das ist wie bei Sonne und Hautkrebs: Eine chronische Exposition führt Jahre später zu Problemen“, so Housley. (Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), 2013; doi: 10.1073/pnas.1222295110)

(Proceedings of the National Academy of Sciences, 16.04.2013 – NPO)

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