Zwei Millionen Jahre ist er alt. Der Australopithecus sediba, dessen Gebeine 2008 nahe Johannesburg entdeckt wurden, scheint ein Bindeglied zwischen eher affenartigen Vorfahren und frühen Menschen – den Homininen zu sein. Das zeigen die detaillierten Skelettuntersuchungen eines internationalen Forscherteams. Wie die Paläontologen im Fachmagazin „Science“ berichten, konnte Sediba zwar laufen, geschickter war er aber noch im Klettern und Hangeln, so die Forscher. Das Besondere an dem Skelett-Fund sei zudem, dass er eine wahre Mischform zwischen primitiven Merkmalen und solchen des modernen Menschen aufweist.
Vor vier Jahren machten Paläontologen in Malapa, nahe Johannesburg, einen fossilen Fund, der sich nach eingehenden Untersuchungen als spektakulär erweist. Die Gebeine weisen darauf hin, dass es sich bei dem Fund um ein Bindeglied zwischen dem primitiven Australopithecinen und späteren Menschenarten der Gattung Homo handelt.
Ein wahres Mosaik
Die neuen Studien zeigen ein einmaliges Bild einer Menschenart mit einem mosaikartigen Körperbau. Einige Körperteile entsprechen denjenigen von früheren und andere denjenigen von späteren Homininen. „Die zahlreichen Gemeinsamkeiten mit Homo erectus lassen vermuten, dass Australopithecus sediba die geeignetste Vorform der Gattung Homo darstellt“, sagt Peter Schmid. Die bisherigen Kandidaten seien zu fragmentarisch, um diese Stellung einnehmen zu können.Die in Malapa entdeckten Fossilien zeigen eine Mischung aus primitiven Merkmalen der Australopithecinen und fortgeschrittenen Merkmalen der späteren Menschenarten. Die Forscher um Lee Berger von der Wits University sind deshalb der Ansicht, dass die neue Art derzeit der beste Kandidat für einen unmittelbaren Vorfahren unserer eigenen Gattung Homo ist.
Bei ihren Untersuchungen nahmen die Forscher das gesamte Skelett des als Australopithecus sediba bekannten Vorfahren genau unter die Lupe. Dabei kamen einige Details zum Vorschein: „Sie zeigen einen engen oberen Brustkorb, wie ihn auch die großen Menschenaffen wie Orang-Utans, Schimpansen und Gorillas besitzen“, erklärt Peter Schmid, der lange Zeit an der Universität Zürich forschte. „Der Brustkorb des Menschen hingegen ist gleichförmig zylindrisch. Ergänzt mit den weitgehend kompletten Resten des Schultergürtels entsteht das morphologische Bild eines konischen Brustkorbs mit einem hochgestellten Schultergelenk, das aussieht wie ein permanentes Achselzucken.“ Zudem habe Sediba aber eine enge, menschenähnliche Taille gehabt, so der Forscher.
Klettern statt Rennen
Die Brustkorbform gibt zugleich Aufschluss über die Bewegungsart des Urmenschen. „Längere Strecken konnten sie wohl nicht rennen, zumal ihnen das energiesparende Armschwingen fehlte“, erklärt Schmid. Vielmehr ermöglicht der enge Brustkorb Bewegungen des Schulterblattes, die für das Klettern und Hangeln in den Bäumen wichtig sind. Auch die Arme waren affenähnlich lang. Seine Füße dagegen unterscheiden Sediba von anderen Australopithecinen. Zwar geht Schmid davon aus, dass er nicht so gut auf beiden Füssen gehen oder rennen konnten wie Menschen, dennoch lässt sich aus der Mischform, die das Skelett aufweist folgern, dass sich unsere frühen Vorfahren bereits auf verschiedene Weise fortbewegen konnten.
So war Australopithecus sediba offenbar ein geübter Kletterer. Das zeigen die in Malapa gefundenen Reste von Oberarm, Speiche, Elle, Schulterblatt, Schlüsselbein und Brustbeinfragment. Diese Knochenfunde lassen sich, was selten ist, auf ein einziges Individuum zurückführen. So konnte dieser Teil des Skeletts besonders gut rekonstruiert werden. Die Forscher folgern aus den Ergebnissen, dass er sogar besser Hangeln konnte als alle bisher bekannten Australopithecus-Arten.
Näher am Homo
Und auch die Zähne scheinen Sediba von anderen Australopithecus-Arten abzugrenzen. Aufgrund der Zahnkronen nehmen die Forscher an, dass Australopithecus sediba stammesgeschichtlich nicht zu den ostafrikanischen Australopithecinen gehört, sondern näher bei Australopithecus africanus liegt und damit eine südafrikanische Schwestergruppe bildet. Dies hat eine Auswirkung auf das moderne Verständnis der Entwicklungsgeschichte der frühen Homininen aus dem ausgehenden Pliozän. Demnach wären Australopithecus sediba und vielleicht auch Australopithecus africanus nicht aus Australopithecus afarensis hervorgegangen. Und auch Kiefer sowie Schneide- und Backenzähne deuten darauf hin, dass es sich bei dem Fund um einen bisher unbekannten Vertreter handelt. Denn in den meisten Merkmalen scheinen die Unterkieferteile denen früher Homo-Arten zu ähneln.
Auch die Analysen der Hals-, Brust¬, Lenden- und Kreuzbeinregion der Wirbelsäule zeigen, dass Australopithecus sediba gleich viele Lendenwirbel hatte wie der moderne Mensch. Das starke Hohlkreuz lässt vermuten, dass er in diesem Bereich fortschrittlicher war als Australopithecus africanus und eher mit dem Homo erectus verglichen werden kann.
(Universität Zürich, 12.04.2013 – KBE)