Fingerabdrücke, die Form der Ohren, die Beschaffenheit der Iris im Auge – all diese Dinge sind von Mensch zu Mensch verschieden. Doch es gibt auch noch weitere, weniger offensichtliche individuelle Kennzeichen. Eines davon haben jetzt Forscher von der ETH Zürich identifiziert: den Atem. Die Zusammensetzung der Chemikalien und Stoffwechselprodukte in der ausgeatmeten Luft bildet bei jedem Menschen ein ganz eigenes Muster, das auch über längere Zeit konstant bleibt, wie sie im Fachmagazin „PloS ONE“ berichten. In Zukunft könnte dieses Wissen ein wertvolles Werkzeug für die sogenannte personalisierte Medizin werden – eine Medizin also, die für jeden Menschen maßgeschneidert wird.
In den vergangenen Jahren machten Atemtests immer wieder von sich reden – meist im Zusammenhang mit bestimmten Krankheiten, speziell Krebserkrankungen. Denn die hinterlassen offenbar Duftspuren in der ausgeatmeten Luft. Hunde sind nach gezieltem Training beispielsweise in der Lage, mit einer hohen Trefferquote Lungen-, Brust- und Magenkrebs im Atem zu erschnuppern. Und in der traditionellen chinesischen Medizin gehört es ebenfalls dazu, bei einer Anamnese den Geruch des Atems zu berücksichtigen.
Atemluft spiegelt individuelles Stoffwechsel-Profil wider
Doch die ausgeatmete Luft kann noch viel mehr über einen Menschen verraten als bislang gedacht, wie nun die neue Studie von Pablo Martinez-Lozano Sinues und seinen Kollegen von der ETH Zürich zeigt: Die darin enthaltenen Stoffe spiegeln offenbar das ganz persönliche Profil des Stoffwechsels wider, das sogenannte Metabolom. Darunter ist alles erfasst, was den Stoffwechsel eines bestimmten Organismus prägt und bestimmt – und das ist nicht nur die genetische Veranlagung, sondern auch der Gesundheitszustand, der Lebensstil, die Ernährung, die Darmflora et cetera.
All diese Einflussfaktoren beeinflussen, wie schnell oder langsam welcher Stoffwechselweg abläuft und wie stark er mit anderen wechselwirkt. Zwar variiert das Metabolom abhängig vom aktuellen Lebensstil, prinzipiell gilt es aber als einzigartig für jeden Menschen. Genau das konnten die Wissenschaftler auch bei ihren Atem-Untersuchungen sehen. Sie ließen elf Mitarbeiter der ETH an neun unterschiedlichen Tagen mehrmals täglich zum Atemtest antreten und analysierten die ausgeatmete Luft mit einem Massenspektrometer. Das Ergebnis: Obwohl es Variationen gab, fand sich für jeden Probanden ein charakteristisches Kennmuster in den Spektrogrammen.
Einfacher und schneller als Urinproben
„Atemabdruck“ tauften die Forscher dieses Muster in Analogie zum Fingerabdruck. Es scheint sowohl von der Tageszeit und damit der inneren Uhr unabhängig zu sein, als auch über einen längeren Zeitraum konstant zu bleiben. In der Studie waren insgesamt elf Tage erfasst – die neun Messtage und das dazwischenliegende Wochenende. Etwas Ähnliches habe man bereits bei Urinproben festgestellt, erläutern die Forscher. Vorausgesetzt, das Prinzip der individuellen Atemabdrücke bestätigt sich in weiteren größeren Studien, halten sie ihre Atemtests aber für sehr viel praktischer als die aufwendige Urinanalyse:
Die Tests seien innerhalb weniger Minuten durchgeführt, sie lieferten sofort Ergebnisse, und könnten viele Komponenten gleichzeitig abdecken, obwohl lediglich ein einziges Gerät notwendig sei – im Gegensatz zu der größeren Ausstattung für die klassischen Labortests von Blut- oder Urinproben.
Genau dieses Gerät ist im Moment jedoch noch ein gewisses Problem: Die Hochleistungsmassenspektrometer, die die Wissenschaftler benutzten, sind sehr unhandlich und auch relativ teuer. Um Atemtests also flächendeckend einsetzen zu können, müssten handlichere, billigere Geräte her. Und es gibt auch noch ein weiteres Problem: Bisher sind von den über 100 Komponenten, die den Atemabdruck ausmachen, kaum welche identifiziert. Das schränkt die Anwendbarkeit der Tests aktuell noch stark ein, räumen die Forscher ein.
Sobald die Identität der Stoffwechselprodukte jedoch geklärt ist, hoffen sie, dass die Atemtests möglichst schnell in die Klinik einziehen. Denn wenn das individuelle Atemprofil einmal bekannt sei, könnten zum einen neu auftretende Krankheiten recht schnell und einfach anhand von untypischen Abweichungen aufgespürt werden. Zum anderen ließen sich vermutlich der Verlauf einer Krankheit und der Erfolg einer Therapie an Veränderungen des Musters verfolgen. In Zukunft könnte mit Hilfe des Atemabdrucks dann sogar entschieden werden, welche Medikamente einem Menschen voraussichtlich am besten helfen – und welche nicht so sinnvoll sind. (PloS ONE, 2013; doi: 10.1371/journal.pone.0059909)
(PloS ONE, 04.04.2013 – ILB)