Gute Nachricht für die Nordhalbkugel: Die Ozonschicht über der Arktis wird sich neuen Schätzungen nach bis Ende des Jahrhunderts erholt haben. Das ist eines der zentralen Ergebnisse des jetzt abgeschlossenen U-Projekts RECONCILE. Es bestätigte zudem, dass tatsächlich Chlorverbindungen für den Abbau und die Erholung des stratosphärischen Ozons entscheidend sind. Die Forscher haben auch untersucht, welche Folgen der besonders kalte Winter 2011 für die Ozonschicht der Nordhalbkugel hatte – und geben zumindest in Teilen Entwarnung.
Im Montrealer Protokoll von 1987 haben sich über 190 Staaten verpflichtet, die Emissionen von chlorhaltigen Chemikalien wie Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) zu reduzieren. Eine vor rund sechs Jahren erschienene Studie hatte die Rolle der FCKW und das Protokoll indirekt in Frage gestellt. Bezweifelt wurde damals, ob tatsächlich vor allem Chlorverbindungen am Ozonabbau schuld sind. Unter anderem um dies zu klären haben Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich gemeinsam mit Kollegen von 35 Forschungseinrichtungen und Universitäten aus 14 Ländern im Projekt RECONCILE den chemischen Prozess der Ozonzerstörung vier Jahre lang genauer untersucht.
„In dem Projekt konnten wir einige offene Fragen zur Entstehung von Ozonlöchern klären und nachweisen, dass neben der Zersetzung durch Chlor keine anderen Mechanismen eine entscheidende Rolle spielen“, erklärt Umweltchemiker Marc von Hobe vom Forschungszentrum Jülich, das RECONCILE koordiniert. Analysen von Luftproben, welche die Universität von East Anglia und die Universität Frankfurt im Rahmen des Projekts durchführten, ergaben eine sichtbare Abnahme beim stratosphärischen Chlor in den letzten Jahren. Auch wenn der Abbauprozess langsamer abläuft als erwartet, rechnen die Wissenschaftler damit, dass sich die Ozonschicht bis Ende des Jahrhunderts erholen wird.
Extremer Winter 2011 förderte Ozonabbau
Dagegen spricht auch nicht, dass die Wissenschaftler Anfang 2011 die bisher ausgeprägteste Ozonzerstörung über dem Nordpol beobachtet haben. Der entscheidende Faktor vor zwei Jahren war ein ungewöhnlich langer arktischer Winter. Ozon wird nur unter sehr kalten Bedingungen abgebaut. Während der Polarnacht entsteht der sogenannte Polarwirbel, eine Art abgeschlossenes System mit sehr kalter Luft, zu dem keine wärmeren Luftmassen aus dem Süden vordringen können.
In diesem Wirbel bilden sich bei Temperaturen unter minus 80 Grad Celsius Polare Stratosphärische Wolken (PSCs). An deren Oberfläche wird eine Kette von Chlorreaktionen in Gang gesetzt, wodurch letztendlich Ozon zerstört wird. Stickstoffverbindungen, die die Ozonzerstörung durch das Chlor stoppen könnten, werden in PSC-Partikeln gebunden und fallen aufgrund der Schwerkraft nach unten. Je länger die sehr kalten Bedingungen andauern, desto mehr Ozon wird zerstört. Erst wenn sich der Polarwirbel im Frühjahr aufgelöst hat, kann sich die Ozonschicht wieder erholen.
Nach dem Rekordwinter in der Arktis befürchteten einige einen drastischen Anstieg der UV-Strahlung auf der Nordhalbkugel. Doch in diesem Punkt können die Wissenschaftler zumindest Teilentwarnung geben: „Wir haben zwar erhöhte Werte festgestellt. Aber sie sind bei weitem nicht so hoch, dass eine deutlich größere Gefahr von Hautkrebs besteht“, stellt von Hobe klar.
Aerosole erweisen sich überraschend als Katalysatoren
Bei der näheren Untersuchung der Prozesse erlebten die RECONCILE-Forscher einige Überraschungen. Jülicher Wissenschaftler stellten beispielsweise fest, dass die Oberflächenreaktionen auch an flüssigen Aerosolen – das sind Schwebeteilchen in der Luft – sehr effizient ablaufen können. „Wichtig für die Chlorchemie ist weniger die Bildung von PSCs als vielmehr die Temperatur. Theoretisch können die Reaktionen überall stattfinden, wo es kalt genug ist und entsprechende Chlorgase vorhanden sind“, erklärt Tobias Wegner, der in Jülich über Aerosol-Partikel und Chlor-Aktivierung promoviert hat.
Dennoch spielen die PSCs eine wichtige Rolle bei der Ozonzerstörung. Sie sorgen dafür, dass die Chlorreaktionen auch noch bis in den Frühling weitergehen können. „Die Resultate des Projekts haben unser Verständnis dieser Wolken komplett verändert. Wir wissen jetzt, dass sich PSCs sehr viel schneller und bei höheren Temperaturen bilden können“, berichtet Tom Peter von der ETH Zürich.
Die Europäische Union hat RECONCILE von 2009 bis 2013 mit 3,5 Millionen Euro aus ihrem 7. Forschungsrahmenprogramm gefördert. Die Forscher haben zahlreiche Laborexperimente, Messungen vor Ort und Computersimulationen durchgeführt. Zu den Höhepunkten zählte die Messkampagne mit der „M55 Geophysica“, einem ehemaligen russischen Spionageflugzeug. Die Maschine ist das einzige Forschungsflugzeug Europas, das in Höhen von bis zu 21 Kilometern vordringen kann. Zwischen Januar und März 2010 überflog die „Geophysica“ 13-mal die Arktis und sammelte Proben und Daten. Ein wichtiger Teil der Erkenntnisse des Projekts beruhen auf der Analyse und Auswertung der Messdaten. Die Ergebnisse von RECONCILE werden demnächst in einem wissenschaftlichen Paper und einem Abschlussbericht zusammengefasst.
(Forschungszentrum Jülich, 13.03.2013 – NPO)