Salz hat inzwischen einen ziemlich schlechten Ruf: Zuviel davon fördert wahrscheinlich Bluthochdruck und Herzkrankheiten. Jetzt haben Forscher eine weitere Schattenseite des essenziellen Würzstoffs aufgedeckt: Es könnte auch Autoimmun-Krankheiten wie Multiple Sklerose und Rheuma fördern – darauf deuten gleich drei in „Nature“ veröffentlichte Studien an Zellkulturen und Mäusen hin. Möglicherweise ist demnach unsere steigende Lust an Pommes, Pizza und Chips schuld daran, dass immer mehr Menschen an Autoimmun-Erkrankungen leiden.
Multiple Sklerose (MS), Schuppenflechte, die landläufig als „Rheuma“ bekannte chronische Polyarthritis, die Bechterew-Krankheit – sie alle gehören zu den Autoimmun-Erkrankungen, bei denen das Immunsystem statt auf Krankheitserreger versehentlich auf körpereigenes Gewebe losgeht. Warum das passiert, ist trotz intensiver Forschung bisher nur unvollständig verstanden. Kein Wunder, schließlich ist die Steuerung des Immunsystems ein ungeheuer komplexer Prozess. „Das sind keine Krankheiten, die nur auf schlechte Gene zurückgehen oder die Umwelt, sondern sie beruhen auf einer krankmachenden Wechselwirkung verschiedenster Faktoren“, erklärt David Hafler von der Yale University, Seniorautor einer der beiden aktuellen Studien.
Zellschwemme nach Fast-Food-Mahlzeit
Einen wichtigen Faktor, der die sensible Balance der Abwehr kippen lassen kann, haben die Wissenschaftler aus den USA und Deutschland jetzt möglicherweise identifiziert: zu viel Salz im Essen. Der Verdacht sei bei einer Beobachtung in Fast-Food-Restaurants aufgekommen, erklärt das Team um Markus Kleinewietfeld von der Yale-Universität: Nach dem Konsum des notorisch übersalzenen Essens dort nahm die Anzahl bestimmter weißer Blutkörperchen im Körper von Probanden drastisch zu. Dabei handelte es sich eine Untergruppe von T-Zellen, die sogenannten Th17-Zellen, die vor allem im Darm residieren, aber auch in anderen Geweben. Sie eilen auf Signale von anderen Immunzellen hin diesen zu Hilfe und unterstützen sie beim Kampf gegen Krankheitserreger.
Diese Th17-Zellen haben jedoch auch ein anderes, negatives Gesicht: Gibt es zu viele von ihnen oder entwickeln sie sich zu einer besonders aggressiven Form, können sie zu Verrätern werden und körpereigenes Gewebe attackieren. Ihre Beteiligung beispielsweise an der Multiplen Sklerose, bei der das Immunsystem die Isolationsschicht um Nervenzellen angreift, und an der Schuppenflechte, bei der Hautzellen die Angriffsziele sind, wurde bereits in mehreren Studien nachgewiesen.
Salz macht Abwehrzellen aggressiv
Für ihre Studien untersuchten nun die drei Forscherteams den Zusammenhang von Salz und diesen Immunzellen im Labor an Zellkulturen und Mäusen – und wurden fündig: Erhöhten die Forscher beispielsweise den Salzgehalt in ihren Petrischalen, entwickelten sich plötzlich sehr viel mehr Th17-Zellen als zuvor. Dieser Anstieg fiel teilweise sehr drastisch aus: „Er kann bis zu zehnmal höher sein als unter normalen Bedingungen“, berichtet Kleinewietfeld. Zudem war das Profil der Botenstoffe, die diese Zellen aussendeten und auf die sie reagierten, leicht verändert – es war eine besonders aggressive Sorte entstanden.
Ein ähnliches Bild bot sich, als die Wissenschaftler Mäusen mehr Salz ins Futter mischten als normal: In der Folge verschlimmerte sich bei ihnen eine Hirnentzündung, die ähnlich abläuft wie Multiple Sklerose beim Menschen. Und auch bei ihnen nahmen Anzahl und Aggressivität der Th17-Zellen zu. Einer der entscheidenden Vermittler dieser Veränderungen war dabei offenbar ein Enzym, das auch früher schon mit dem Salzstoffwechsel in Verbindung gebracht worden war – allerdings nicht in Immunzellen, sondern in Darm und Niere, wo es die Aufnahme von Salz in die Zellen koordiniert. Blockierten die Forscher dieses Enzym oder legten sein Gen lahm, verschwand der Zusammenhang zwischen Salzkonzentration und Immunaktivität.
Noch sind weitere Studien nötig
So logisch der Zusammenhang scheint und so gut er zur Entwicklung von Salzgehalt im Essen und Autoimmunerkrankungen in den letzten Jahrzehnten passt – mit der Interpretation der Ergebnisse sollte man vorsichtig sein, betonen David Hafler von der Yale University und seine Kollegen. Bisher hätten sie den Effekt ausschließlich in künstlichen Systemen demonstriert – in Zellenkulturen und in einem Tiermodell für MS. Ob zu viel Salz tatsächlich auch beim Menschen Autoimmun-Erkrankungen fördere, müsse erst in weiteren Untersuchungen geprüft werden. Dazu wollen sie jetzt so schnell wie möglich eine klinische Studie beginnen.
Und auch wenn sich der Verdacht bestätigt, werde es mit ziemlicher Sicherheit nicht ausreichen, auf Salz zu verzichten, um das Entstehen solcher Krankheiten zu vermeiden, wie die Wissenschaftler betonen. Das Salz scheine nämlich nur dann seine negative Wirkung zu entfalten, wenn bereits eine Veranlagung bestehe oder eine Sensibilisierung des Immunsystems stattgefunden habe. „Trotzdem empfehle ich meinen Patienten schon mal, dass sie sich salzarm und fettarm ernähren“, sagt Hafner. (Nature, 2013; doi: 10.1038/nature11868, doi: 10.1038/nature11984, doi: 10.1038/nature11981)
(Nature, 07.03.2013 – ILB)