Von Walen weiß man es längst: Das Dröhnen und Stampfen der Schiffsmotoren bedeutet für sie puren Stress. Jetzt haben britische Forscher entdeckt, dass auch wirbellose Tiere unter der Lärmbelastung leiden. In ihrem Experiment zeigten auch Strandkrabben deutliche Anzeichen für eine physiologische Stressreaktion – und dies schon bei einmaligem Hören lauten Schiffslärms. Auf Dauer könnte dieser Effekt die Überlebensfähigkeit dieser und möglicherweise auch anderer wirbelloser Tiere deutlich verringern, warnen die Wissenschaftler im Fachmagazin „Biology Letters“.
„Vom Menschen verursachte Geräusche haben die akustische Umwelt sowohl an Land als auch unter Wasser im letzten Jahrhundert deutlich verändert“, erklären Matthew Wale von der University of Bristol und seine Kollegen. Der vom Schiffsverkehr, Sonargeräten oder Unterwasserbohrungen verursache Lärm habe, das wisse man inzwischen, negative Auswirkungen auf eine ganze Reihe von Wirbeltieren. Erst im letzten Jahr hatten US-Forscher beispielsweise nachgewiesen, dass Wale vermehrt Stresshormone ausschütten, wenn sie starkem Schiffslärm ausgesetzt sind.
Weil solche physiologischen Reaktionen die Fitness und Überlebensfähigkeit der Tiere langfristig beeinträchtigen können, sei es wichtig, auch diese Folgen der akustischen Umweltverschmutzung auf die Tierwelt genau zu kennen, betonen die Forscher. Bisher allerdings konzentrierten sich Studien zu den Folgen des Schiffslärms vor allem auf Wirbeltiere. Unter anderem deshalb haben Wale und seine Kollegen nun einen weit verbreiteten wirbellosen Meeresbewohner für ihre Studie ausgewählt: die Strandkrabbe Carcinus maenas. Der anpassungsfähige Krebs kommt heute an nahezu allen Küsten vor und frisst dort fast alles, was ihm vor die Scheren kommt.
Sauerstoffverbrauch zeigt Stress an
Für ihr Experiment fingen die Biologen fast 60 dieser Krebse am Strand von Newquay ein und brachten sie in ihr Labor. Dort setzten sie die Tiere einzeln in Behälter mit einem Liter Meerwasser und beschallten gut die Hälfte von ihnen mit dem zuvor aufgenommenen Geräusch eines passierenden Schiffes. Die andere Hälfte bekam eine genauso lange dauernde Aufnahme normaler Meeresgeräusche zu hören. Vor und nach dem Beschallen ermittelten die Forscher die Sauerstoffsättigung im Wasser – an deren Veränderung lässt sich ablesen, wie intensiv die Krebse atmeten und damit auch, wie aktiv ihr Stoffwechsel war.
Tatsächlich zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den beiden Gruppen: „Die Strandkrabben, die dem Schiffslärm ausgesetzt waren, verbrauchten im Durchschnitt 67 Prozent mehr Sauerstoff als diejenigen, die nur Meeresgeräusche hörten“, berichten die Forscher. Da alle Tiere während der Beschallung ruhig sitzen blieben, war eine Zunahme der Bewegung offensichtlich nicht der Grund für die verstärkte Atmung. Stattdessen deute dies auf einen höheren Stoffwechsel und eine erhöhte Herzfrequenz hin, schlussfolgern Wale und seine Kollegen. Das aber, so erklären sie, sei typisch für die Stressreaktion des Körpers – sowohl bei Wirbellosen als auch bei Wirbeltieren. Denn auch bei uns steigen bei Stress Puls und Blutdruck und wir atmen tiefer und schneller.
Größere Krebse reagieren stärker
Und noch etwas ergab der Versuch: Größere Strandkrabben reagierten deutlich stärker auf den Schiffslärm als ihre kleineren Artgenossen. „Frühere Studien haben einen ähnlichen Größeneffekt auch bei anderen menschengemachten Störungen wie einer Erwärmung des Wasser oder der Verschmutzung durch Schwermetalle festgestellt“, berichten die Forscher. Dies sei nun das erste Mal, dass man dies auch für akustische Störungen beobachtet habe. Möglicherweise können die größeren Krebse ihren Stoffwechsel bei Stress stärker ankurbeln und verbrauchen deshalb relativ zu ihrem Körpergewicht mehr Sauerstoff.
Weil aber diese Stressreaktion auf Dauer den Organismus belastet, könnte dies erhebliche ökologische Folgen haben, warnen die Wissenschaftler. „Das könnte bedeuten, dass gerade die größeren Tiere weniger gut überleben und sich daher auch nicht mehr fortpflanzen“, so Wale und seine Kollegen. Als Folge bleiben immer mehr kleinere Exemplare übrig.
Sollte dieser Effekt nicht nur bei den Strandkrabben, sondern auch bei andere wirbellosen Tieren auftreten, hätte dies Auswirkung auf die gesamte Meeresfauna. Es sei daher dringend notwendig, nun auch die Reaktion weiterer Wirbelloser auf den Schiffslärm zu untersuchen, konstatieren die Forscher. (Royal Society – Biology Letters, doi: 10.1098/rsbl.2012.1194)
(Biology Letter, 27.02.2013 – NPO)