Vor 2,4 Milliarden Jahren schlitterte die Erde in eine erste Katastrophe: In ihrer Gashülle breitete sich plötzlich der für viele damalige Lebewesen giftige Sauerstoff aus. Züricher Forscher haben jetzt eine mögliche Erklärung dafür, was diese „Große Sauerstoffkatastrophe“ auslöste: Die damals schon häufigen Cyanobakterien begannen, vielzellig zu werden und schraubten dadurch ihre O2-Produktion in die Höhe, berichten sie im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“.
Vor rund 2,4 Milliarden Jahren geschah ein plötzlicher Wandel der urzeitlichen Erdatmosphäre: Die anfangs vorwiegend aus Stickstoff, Wasserdampf und Kohlendioxid bestehende Gashülle unseres Planeten begann sich extrem zu verändern. Plötzlich nahm ihr Sauerstoffgehalt sprunghaft zu – und Sauerstoff war für viele damalige Lebewesen giftig. Als Folge begann sich auch die Lebenswelt der Erden zu verändern. Diese plötzliche Häufung von freiem Sauerstoff in der damaligen Atmosphäre wird als „Great Oxidation Event“ oder auch „Große Sauerstoffkatastrophe“ bezeichnet und gilt als erdgeschichtlich folgenreichstes Klimaereignis.
Rätselhafter Sauerstoffschock
Was aber verursachte diese Sauerstoffschwemme? Ein Kandidat dafür sind Cyanobakterien. Diese Blaualgen gehören zu den ältesten Organismen auf der Erde und waren auch damals, zur Zeit der Großen Sauerstoffkatastrophe, schon sehr häufig. Mittels Photosynthese erzeugen sie auch heute noch aus dem Licht der Sonne Sauerstoff. Doch weil es sie auch vor der Sauerstoffkatastrophe schon gab, blieb offen, warum dieses Gas vor 2,4 Milliarden Jahren so plötzlich stark anstieg. Forscher der Universität Zürich könnten nun dafür eine Erklärung gefunden haben.
Die Wissenschaftler analysierten für ihre Studie die Stammesgeschichte lebender Cyanobakterien und kombinierten ihre Ergebnisse mit Daten fossiler Vertreter dieser Organismengruppe. Dabei stellten sie fest, dass diese Algen sich wesentlich früher zu vielzelligen Kolonien zusammenschlossen, als bisher angenommen. „Die Vielzelligkeit entwickelte sich relativ früh in der Geschichte der Cyanobakterien, vor mehr als 2,3 Milliarden Jahren“, erläutert Bettina Schirrmeister von der Universität Zürich das Ergebnis ihrer Doktorarbeit.
Effiziente Vielzeller als Verursacher?
Damit „erfanden“ die zellkernlosen Cyanobakterien die Vielzelligkeit schon rund eine Milliarde Jahre früher als die Eukaryoten – Lebewesen mit einem Zellkern. Das aber bedeutet, dass das Auftauchen von vielzelligen Cyanobakterien fast zeitgleich stattfand wie die Anreicherung der Ozeane und der Erdatmosphäre mit Sauerstoff. Schirrmeister und ihr Doktorvater Homayoun Bagheri vermuten daher einen Zusammenhang zwischen dem Entstehen der Vielzelligkeit und diesem Meilenstein der Erdgeschichte. Denn vielzellige Lebewesen haben oftmals einen effizienteren Stoffwechsel als einzellige. Die Forscher stellen daher die These auf, dass die neu entstandene Vielzelligkeit der Cyanobakterien eine Rolle bei der Auslösung der Großen Sauerstoffkatastrophe gespielt hat.
Die gesteigerte Sauerstoffproduktion brachte die ursprüngliche Erdatmosphäre zum Kippen. Da Sauerstoff für viele anaeroben Organismen giftig war, wurden viele anaerobe Bakterienarten verdrängt und ökologische Nischen frei. Die Forscher stellen im Anschluss an das einschneidende Klimaereignis viele neue Arten von vielzelligen Cyanobakterien fest und gehen davon aus, dass diese die frei gewordenen Lebensräume besetzt haben. „Morphologische Änderungen bei Kleinstlebewesen, wie Bakterien, waren offenbar in der Lage, die Umwelt grundlegend und in kaum vorstellbaren Maß zu beeinflussen“, schließt Schirrmeister. (PNAS, 2013. doi: 10:1072/pnas.1209927110)
(Universität Zürich, 15.01.2013 – NPO)