Ein deutsch-spanisches Forscherteam hat herausgefunden, wie genau sich das HI-Virus unversehrt Zugang zu den Immunzellen des Menschen verschaffen kann: ein spezielles Molekül hilft ihm dabei. Das von den Wissenschaftlern identifizierte „Taxiprotein“ namens Siglec-1 könnte ein neuer Angriffspunkt zur Bekämpfung des Erregers sein, so die Hoffnung der Forscher, die ihre Ergebnisse gestern im Fachmagazin „PloS Biology“ veröffentlichten.
Stößt die Polizei des Immunsystems – die Dendritischen Zellen – auf ihrer Patrouille durch den Körper auf Krankheitserreger wie Viren oder Bakterien, nehmen sie diese auf. Im Inneren werden die Eindringlinge schließlich verdaut und die Dendritischen Zellen alarmieren weitere Immunzellen, indem sie die unschädlich gemachten Bruchstücke der Erreger auf ihrer Oberfläche präsentieren. Zu den alarmierten Zellen gehören auch die sogenannten T-Helferzellen, die nach Erkennung der Fremdkörper gezielte Abwehrreaktionen einleiten. Genau diese T-Zellen sind jedoch das bevorzugte Ziel des Humanen Immundefizienz (HI) Virus. Im Laufe der Infektion werden sie kontinuierlich dezimiert, bis schließlich das Immunsystem versagt. Es kommt zur Immunschwäche AIDS mit verschiedenen Folgeerkrankungen.
Ausgetrickste Immunpatrouille
Die Dendritischen Zellen selbst sind gegen die am weitesten verbreitete Variante des HI-Virus (HIV 1) nahezu immun. Dennoch spielen sie eine wichtige Rolle bei der Ausbreitung der Infektion im Körper: Sie fangen die Viren ein und verstecken sie im Inneren der Zelle, zerlegen sie allerdings nicht wie sonst in ihre Einzelteile. „Stattdessen präsentieren sie den T-Helferzellen die vollständigen und infektiösen Viren anstelle von ungefährlichen Bruchstücken der Virus-Eiweiße“. Durch diese direkten Zell-Zell-Kontakte, die zur normalen Funktion der Immunzellen gehörten, komme es dann zur Infektion vieler T-Zellen, was den Infektionsverlauf beschleunige, erklärt Hans-Georg Kräusslich, Direktor der Infektiologie am Universitätsklinikum Heidelberg.
Die Ergebnisse der Forscher aus Barcelona und Heidelberg zeigen, wie es HIV gelingt, gerade jene Immunzellen für sich zu nutzen, die eigentlich die körpereigene Virenabwehr in Gang setzen sollten: Für den unbeschadeten Transport hinein in die Patrouillen-Zellen sowie den verhinderten Abbau des Virus machen die Forscher ein Oberflächenprotein der Immunzelle, das Siglec-1, verantwortlich. Es dient dazu, kleine Vesikel, die der Zellkommunikation dienen, einzufangen und ins Zellinnere weiterzuleiten. Als Erkennungsmerkmal für die Aufnahme in die Zellen wirken dabei sogenannte Ganglioside, die es auch auf der Virenhülle gibt. Siglec-1 erkennt diese, das Virus wird gebunden und unbeschadet aufgenommen.
Um die Funktion des Siglecs zu untersuchen, blockierten die Forscher das Protein oder hinderten die Dendritischen Zellen daran, es zu bilden. Woraufhin kaum noch Viren in die Zellen gelangten. Auch die Übertragung auf T-Zellen konnte so im Experiment gestoppt werden. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Siglec-1 der wichtigste Faktor zur Bindung von HI-Viren an Dendritische Zellen ist und so möglicherweise ganz wesentlich zur Ausbreitung der HIV-Infektion im Organismus beiträgt“, so Kräusslich. „Siglec-1 ist daher ein vielversprechender Ansatzpunkt, um das Fortschreiten der Infektion zu verlangsamen.“ (doi:10.1371/journal.pbio.1001448b)
(Universität Heidelberg, 20.12.2012 – KBE)