Schweizer Forscher zeigen, dass Tabakkonsum auch im Gehirn Spuren hinterlässt. Hinreichend bekannt ist der Zusammenhang zwischen dem Rauchen und diversen Atemwegserkrankungen wie etwa der COPD (chronisch-obstruktive Lungenerkrankung) oder Lungenkrebs. Dass die Sucht jedoch auch nachhaltige Auswirkungen auf die Signalübertragung im Gehirn hat, war bisher nicht klar. Die Untersuchungen der Mediziner haben jedoch gezeigt, dass die Anzahl eines wichtigen Rezeptors der Signalübertragung – dem Glutamatrezeptor – bei Rauchern bis zu 30 Prozent verringert ist. Auch ehemalige Tabakkonsumenten weisen langanhaltend eine solche Verminderung auf, wie die Wissenschaftler jetzt im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“ berichten.
Rauchen ist eine Volkskrankheit mit zunehmender Bedeutung weltweit. Jedes Jahr sterben fünf Millionen Menschen an den Folgen des Tabakkonsums, und man geht davon aus, dass es im Jahr 2030 bis zu zehn Millionen sein werden. Die Gesundheitskosten, die in der Schweiz durch das Rauchen entstehen, werden auf zehn Milliarden Franken pro Jahr geschätzt. In Deutschland gehen Experten von unmittelbaren Kosten allein im Gesundheitswesen von rund 8,66 Milliarden Euro aus, so das DKFZ (Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg).
Die Abhängigkeit von Nikotin ist oft schwerwiegend: Bis zu 90 Prozent der Raucherinnen und Raucher finden es sehr schwierig oder schwierig, auf Nikotin zu verzichten. Drei Viertel von ihnen versuchen aufzuhören, aber nur wenigen gelingt es. Trotz des enormen Einflusses des Rauchens auf den Einzelnen und die Gesellschaft, ist es bis jetzt nicht gelungen, die Langzeitfolgen des Nikotinkonsums auf das Gehirn zu nachzuweisen und zu verstehen.
Schweizer Wissenschaftler von der Universität Bern, der ETH Zürich und der Universität Zürich haben nun in einer gemeinsamen Studie nachgewiesen, dass diese Folgen dramatisch und langanhaltend sind.
Spätfolgen bei Ex-Rauchern
Die Entwicklung der Nikotin-Sucht ist eine Art Lernprozess. Der Hirnbotenstoff Glutamat spielt dabei eine zentrale Rolle. „Von Tierstudien ist bekannt, dass Glutamat auch bei der Entwicklung von Abhängigkeit, die ebenfalls eine Art Lernprozess darstellt, wichtig ist – vor allem bei der Nikotin- und Kokain-Abhängigkeit“, erklärt Gregor Hasler, Chefarzt in Bern.
Deshalb haben die Forschenden das Glutamat-System bei Rauchern, Ex-Rauchern und Nicht-Rauchern untersucht. Mit Hilfe der neuen Methode der Positron-Emissionstomographie wurde ein wichtiges Protein des Glutamat-Systems gemessen: der stoffwechselaktive Glutamat-Rezeptor 5 (mGluR5). Glutamatrezeptoren spielen in der Signalübermittlung im Gehirn eine grundlegende Rolle.
Die Studie ergab, dass die Menge des Rezeptors im Gehirn von Rauchern durchschnittlich um 20 Prozent verringert war, in einzelnen Hirnregionen sogar um bis zu 30 Prozent. Auch die Ex-Raucher, die im Durchschnitt 25 Wochen abstinent waren, zeigten weiterhin eine Reduktion des Glutamat-Rezeptors um 10 bis 20 Prozent.
„Diese Veränderung des Glutamat-Systems bei Rauchern ist im Ausmaß und in der lokalen Ausweitung weit größer, als man bisher angenommen hat“, erläutert Hasler. Besonders unerwartet sei, dass die Erholung des Glutamat-Systems offenbar sehr lange dauere. „Es ist wahrscheinlich, dass diese sehr langsame Normalisierung zu der sehr hohen Rückfallrate bei Ex-Rauchern beiträgt.“
Neuer Ansatz für Rauchentzug?
Nikotin verursacht im Gehirn eine sowohl stimulierende wie auch beruhigende Wirkung und kann kurzfristig die Konzentrationsfähigkeit verbessern. Bei wiederholtem Nikotinkonsum kommt es zur Toleranzbildung. Das heißt, die positiven Wirkungen werden schwächer und der Verzicht auf Nikotin führt oft zu Entzugssymptomen wie Unruhe, Gereiztheit, Angst, Lustlosigkeit, Kopfschmerzen, Schlafproblemen, Konzentrationsstörungen, Hungergefühl und Gewichtszunahme.
„Hinsichtlich der Entwicklung von Medikamenten, die auf das mGluR5-Protein einwirken, ist zu berücksichtigen, dass sich die Wirkung bei Rauchern und Ex-Rauchern deutlich von der Wirkung bei Nicht-Rauchern unterscheiden kann“, so der Mediziner weiter. „Diese Medikamente könnten außerdem das Potenzial haben, das Rückfallrisiko, die Entzugssymptome und andere psychische Folgen des Nikotinkonsums zu reduzieren.“
Ob es auch das Glutamat-System ist, das verantwortlich für Angststörungen und Gewichtszunahmen bei Ex-Rauchern ist, sei noch zu klären. (doi: 10.1073/pnas.1210984110)
(Universität Bern, 19.12.2012 – KBE)