Bisher ging man davon aus, dass der Staupevirus zuerst bei Haushunden auftrat und dann auf Wildtiere übergesprungen ist. Doch dies war offenbar nicht so. Dies hat ein internationales Forscherteam herausgefunden, als es den „Schlüssel-Schloss“-Mechanismus des Staupevirus untersucht hat, mit dem sich der Erreger Zugang zur Wirtszelle verschafft. Dabei sei erstmals der Nachweis gelungen, dass sich neben einer generalisierten Form des Virus, die Wild- und Haustiere befällt, eine weitere Form entwickelt habe, die auf den Haushund spezialisiert ist, berichten die Forscher im Fachmagazin „PloS ONE“.
Der Hundestaupe-Virus ist eine Erkrankung, die trotz wirksamer Impfstoffe regelmäßig weltweit bei Haushunden auftritt. Auch bei verschiedenen fleischfressenden Wildtieren, in freier Natur und in menschlicher Obhut lebend, wurde das Hundestaupe-Virus gefunden. Eine Erkrankung mit dem
Virus äußert sich besonders durch neurologische Störungen, Schnupfen, hohes Fieber, Abgeschlagenheit und Durchfall. Bereits bekannt war bisher, dass sich das Staupevirus afrikanischer Löwen von dem der Haushunde unterscheidet. Die aktuelle Studie lässt nun Rückschlüsse auf die gemeinsame Evolution von Staupeviren und ihren Raubtierwirten zu.
„Allgemein wurde angenommen, dass Staupe erst in Haushunden auftrat und dann auf wilde Raubtiere übersprang“ erklärt Studienleiterin Marion East vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW). „Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass das Staupevirus ursprünglich ein generalisiertes Virus in wilden Raubtieren war und sich erst später mit der Entwicklung der Menschheit und der gewaltigen Expansion des Bestandes an Haushunden spezialisierte Stämme bildeten.“ Der große Bestand des Haushundes begünstigte also die Evolution spezialisierter Virusstämme.
Spezifisches „Schloss“ beim Hund
Für ihre Studie untersuchte das Wissenschaftlerteam die molekularen Grundlagen des „Schlüssel-Schloss“-Prinzips am Staupevirus. Das Virus produziert das Protein Hämagglutinin als Schlüssel, das passgenau an ein „Schloss“ in der Wirtszelle andockt und somit dem Virus das Eindringen in die Wirtszelle ermöglicht. Die Wissenschaftler konnten nun nachweisen, dass sich diese Andockstellen bei Haushunden und Wildtieren stark unterscheiden. „Da der Aufbau des ‚Schlosses‘ der Wirtszelle bei Haushunden und ihren nahen Verwandten deutlich von dem anderer Raubtiere abweicht, erwarteten wir, dass der ‚Schlüssel‘, mit dem sich die verschiedenen Virusstämme in die jeweiligen Wirtszellen einschleusen, ebenfalls Variationen aufwies“, kommentiert Klaus Osterrieder von der Freien Universität Berlin die Ergebnisse der Studie. Diese Erwartungen seien erfüllt worden.
Im Andockprotein eines Staupevirus-Stamms vom Haushund tauschte das Forscherteam als Experiment die Aminosäure Tyrosin gegen die im Staupevirus von Wildtieren vorkommende Aminosäure Histidin aus. Dies führte dazu, dass sich die Zugriffsfähigkeit und die Vermehrungsrate des Hundestaupe-Virus in den Zellen von Wildtieren erhöhten. Der veränderte Hundestaupe-Virus-Stamm bildete somit generalisierte Merkmale aus. In dieser Form besitzt das Virus die Fähigkeit, sich auf verschiedene Wildtierarten auszubreiten. Er ist nicht mehr nur auf eine einzige Wirtsart, den Haushund, spezialisiert.
„Die neuen Erkenntnisse tragen maßgeblich zum Wissen über die Verbreitung vom Hunde-Staupevirus bei“, erklärt East. „Sie liefern einen Nachweis über die verschiedenen Formen des Virus mit seinen generalisierenden und spezialisierenden Merkmalen.“ Aus den Ergebnissen gehe auch hervor, dass die Spezialisierung des Virus auf den Haushund dazu führe, dass das Hundestaupe-Virus bei Wild- und anderen Haustieren weniger erfolgreich sei. Das Hundestaupe-Virus gehe bei der Spezialisierung einen Kompromiss ein, weil es die Fähigkeit verliere, andere Wirte zu infizieren.
(Forschungsverbund Berlin, 14.12.2012 – NPO)