Archäologie

Bernstein konserviert Florfliegenlarve mit bizarrer Tarnung

110 Millionen Jahre altes Insekt ist ältestes Beispiel für eine Dreckhülle als Schutz vor Feinden

Diese Zeichnung zeigt, wie die Florfliegenlarve Hallucinochrysa diogenesi zu Lebzeiten aussah, deutlich sind die langen Borsten zu sehen, die auf ihrem Rücken eine Käfig für tarnende Abfälle bilden. © J. A. Peñas

Schon vor mehr als 110 Millionen Jahren nutzten Insekten Dreck als Tarnung: In einem Klumpen Bernstein hat ein internationales Forscherteam eine Florfliegenlarve entdeckt, die ein ganzes Paket von Pflanzenresten auf ihrem Rücken trägt. Festgehalten wird diese tarnende Hülle von bizarr verlängerten und verzweigten Halteborsten, die länger sind als das gesamte Tier. Das neu entdeckte Fossil repräsentiere das älteste Beispiel für diese Art der Tarnung bei einem Insekt und eines der ältesten Beispiele für ein solches Verhalten überhaupt, berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“.

Die Hallucinochrysa diogenesi getaufte Larve habe bereits damals komplexe Verhaltensabläufe beherrscht: Sie sammelte zunächst gezielt Pflanzenreste ein, deponiert dann diese auf ihrem Rücken und trug dieses Paket anschließend mit sich herum.

Hautreste, Pilzsporen und Wurzelfasern

Die Larven heutiger Florfliegen nutzen oft Abfall zur Tarnung und besitzen spezielle Vorsprünge und Borsten auf ihrem Rücken, um diese Schutzhüllen festzuhalten, wie Ricardo Pérez-de la Fuente von der Universität Barcelona und seine Kollegen erklären. Verwendet werden dabei beispielsweise Hautreste anderer Insekten, Wachsklumpen, Borkenreste, aber auch Pflanzenhaare, Pollen oder Pilzsporen. Die auf dem Rücken getragenen Abfälle bieten dabei gleich auf zweierlei Weise Schutz: „Zum einen verhindern sie, dass die Larven von ihren Feinden gesehen und erkannt werden, zum anderen aber wirken sie als schützender Panzer“, sagen die Forscher.

Dass es diese Strategie der Tarnung durch Dreck auch schon vor Jahrmillionen gab, habe man zwar vermutet, aber Fossilien von Florfliegenlarven seien extrem rar. Der Fund einer vollständigen und so gut erhaltenen Florfliegenlarve aus der frühen Kreidezeit sei daher eine kleine Sensation, konstatieren Pérez-de la Fuente und seine Kollegen. Noch dazu sei das Abfall-Paket auf ihre Rücken ebenfalls konserviert und gebe damit einen Einblick in die Schutzstrategie dieses Insekts.

Ausschnitt: Foto der im Bernstein eingeschlossenen Florfliegenlarve Hallucinochrysa diogenesi, mit in Halteborsten verhedderten Pflanzenhaaren. © Pérez-de la Fuente et al. / PNAS

Käfig aus Borsten für den Schutz-Dreck

Der neue Fund sei auch wegen seines Aussehens eine echte Besonderheit: „Hallucinochrysa diogenesi besitzt eine bizarre, einzigartige Morphologie, die es bei keiner der heute lebenden Florfliegen gibt“, sagen die Forscher. Die Larve trage an jedem Körpersegment ein Paar extrem langer, mit Borsten besetzter Fortsätze. Diese ragen beiderseits des Körpers seitlich nach oben und bilden so eine Art Käfig für den eingesammelten Abfall. Die Länge dieser Fortsätze sei ungewöhnlich, denn bei heutigen Vertretern dieser Fliegen entsprächen sei meist etwa der Körperbreite. Bei Hallucinochrysa seien die Fortsätze aber sogar länger als das gesamte Tier.

Interessant ist nach Ansicht der Wissenschaftler auch die Zusammensetzung des tarnenden Abfall-Pakets auf den Rücken der Florfliegenlarve. Es besteht ausschließlich aus den verknäuelten Haaren eines kreidezeitlichen Farns. Das deute darauf hin, dass die Larve dieses Material gezielt als Schutz und Tarnung gewählt habe.

Der Bernsteinfund zeuge damit auch von einer besonderen Beziehung zwischen der Pflanze und der Florfliege: Der Farn bildet diese sogenannten Trichome aus, um sich vor pflanzenfressenden Insekten zu schützen. Die räuberische Florfliegenlarve sammelt dieses Abwehrmittel, um sich selbst gegen ihre Fressfeinde – Raubwanzen, Marienkäfer, Ameisen und Wespen -zu schützen. Gleichzeitig aber hilft sie dem Farn, indem sie einige der an ihm fressenden Insekten vertilgt. Damit profitieren beide von dieser Beziehung (doi:10.1073/pnas.1213775110).

(Proceedings of the National Academy of Sciences, 11.12.2012 – NPO)

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