Schwertwal-Weibchen leben besonders lange, um ihre Söhne versorgen zu können. Sie kümmern sich selbst im hohen Alter noch intensiv um ihre erwachsenen Söhne und stellen so offenbar deren Überleben sicher: Sterben sie, steigt die Wahrscheinlichkeit für den Tod des Sohnes im Folgejahr immens an, zeigt jetzt eine Studie eines internationalen Biologenteams. Das könnte erklären, warum bei Orcas – ähnlich wie beim Menschen – die Weibchen noch viele Jahre nach dem Ende ihrer Fortpflanzungsfähigkeit weiterleben. Was genau die Mütter für ihre Söhne tun, ist allerdings noch unklar, schreiben Emma Foster von der University of Exeter und ihre Kollegen im Fachmagazin „Science“.
Nebenwirkung eines langen Lebens oder echter evolutionärer Vorteil?
Bis etwa in ihre Dreißiger oder Vierziger können Orca-Weibchen Nachwuchs bekommen. Ihre Lebenserwartung liegt jedoch bei bis zu 90, manchmal sogar 100 Jahren. Damit sind die Schwertwale eine der ganz wenigen Tierarten, bei denen die Weibchen ihre fruchtbaren Jahre deutlich überleben. „Biologisch betrachtet ist diese Post-Menopause ein wirklich bizarres Konzept“, kommentiert Studienleiterin Foster. Warum es sie überhaupt gibt, wird bereits seit vielen Jahren intensiv untersucht. Es gibt zwei Thesen: Entweder ist die Post-Menopause eine normale Begleiterscheinung einer hohen Lebenserwartung. Oder aber sie bringt irgendeinen evolutionären Vorteil mit sich, der dazu geführt hat, dass die entsprechenden Weibchen mehr Nachwuchs hatten und sich das Merkmal deswegen durchsetzen konnte.
Bei Orcas scheint letzteres zuzutreffen, legen nun die neuen Ergebnisse nahe. Foster und ihre Kollegen hatten dazu Berichte über zwei sogenannte Resident-Orca-Gruppen ausgewertet, die 36 Jahre lang die gleichen Küstenabschnitte vor dem US-Bundesstaat Washington und dem kanadischen British Columbia frequentierten. Insgesamt wurden dabei die Daten von 589 Tieren erfasst, von denen 297 während der Studienperiode starben. Auf dieser Basis ließ sich eine Überlebenswahrscheinlichkeit für jedes einzelne Tier in jedem Alter berechnen, erläutert das Team.
Schlechte Chancen für Söhne nach dem Tod der Mutter
Das Ergebnis: Der Tod einer betagten Mutter wirkte sich verheerend auf die Überlebenswahrscheinlichkeit ihrer Söhne aus – vor allem dann, wenn diese bereits erwachsen waren. So wurde die Wahrscheinlichkeit, dass ein über 30 Jahre altes Männchen im Folgejahr starb, durch den Verlust der Mutter um einen Faktor 14 erhöht. Töchter profitierten zwar ebenfalls von der Anwesenheit einer älteren Mutter, bei ihnen war der Effekt jedoch sehr viel weniger ausgeprägt, berichten die Forscher.
Erklären lasse sich das vermutlich durch die ungewöhnliche Gesellschaftsstruktur der Orcas: Sämtliche Nachkommen eines Weibchens bleiben ein Leben lang an ihrer Seite, ebenso wie der Nachwuchs der Töchter. Die Nachkommen der Söhne werden dagegen in der Gruppe ihrer Mütter aufgezogen. Wenn ein Weibchen also dafür sorgen will, dass seine Gene möglichst effektiv verteilt und erhalten werden, sei es aus Sicht der Evolution nur logisch, sich vor allem auf das Überleben der Söhne zu konzentrieren, sagt das Team. Denn die geben die Gene zwar weiter, da ihr Nachwuchs aber nicht in der Gruppe bleibt, belastet er die Ressourcen nicht zusätzlich.
Als nächstes wollen Foster und ihre Kollegen nun untersuchen, wie genau die Mütter ihre Söhne unterstützen. Denkbar sei zum einen, dass sie ihnen bei der Futtersuche helfen. Zum anderen könnten sie ihnen jedoch auch in potenziell gefährlichen Situationen beistehen. (doi: 10.1126/science.1224198)
(Science, 14.09.2012 – ILB)