Eine internationale Forschergruppe hat das Erbgut des Denisova-Frühmenschen vollständig entschlüsselt und daraus neue Informationen über diesen bisher rätselhaften Menschentyp gewonnen. Der 2010 in der Denisova-Höhle im südsibirischen Altai-Gebirge entdeckte Frühmensch könnte demnach dunkle Haut, braune Augen und braune Haare besessen haben. Das zeigen entsprechende Gene in seinem Erbgut, wie die Wissenschaftler um Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig im Fachmagazin „Science“ berichten. Da bisher von diesem eng mit den Neandertalern verwandten Menschentyp nur ein Fingerknochen und zwei Zähne gefunden wurden, war über sein Aussehen, seine Lebensweise und Verwandtschaft bisher kaum etwas bekannt.
Anhand der Gene datierten die Forscher den fossilen Fingerknochen, aus dem die DNA stammt, auf ein Alter von rund 80.000 Jahren. Der Genvergleich mit insgesamt elf modernen Volksgruppen weltweit zeige aber, dass sich der Denisova-Mensch schon vor rund 800.000 Jahren von der Stammeslinie des modernen Menschen abgespalten haben könnte. „Das jetzt entschlüsselte Denisova-Erbgut erlaubt es uns, einen nahezu vollständigen Katalog aller genetischen Änderungen zu erstellen, die sich beim modernen Menschen seither ereignet haben“, schreiben Pääbo und seine Kollegen. So habe man insgesamt 111.812 einzelne DNA-Bausteine und 9.500 größere DNA-Blöcke gefunden, in denen das Denisova-Erbgut noch affenähnlich, das des modernen Menschen aber bereits weiterentwickelt sei. Viele dieser Gene seien an der Gehirnentwicklung und der Übertragung von Nervensignalen beteiligt.
Bewohner Papua-Neuguineas tragen die meisten Denisova-Gene
Die Genanalysen bestätigen zudem, dass die heutigen Bewohner Papua-Neuguineas mehr Gene des Denisova-Menschen in sich tragen als jede andere Volksgruppe weltweit. Sechs Prozent ihres Erbguts stammt von diesem Frühmenschen ab, wie die Forscher berichten. Eine 2010 durchgeführte vorläufige Gensequenzierung hatte bereits angedeutet, dass die Vorfahren der heutigen Bewohner einiger Inseln Südostasiens und der australischen Aborigines einst mit Denisova-Menschen in Kontakt gekommen sein müssen und sich mit ihnen vermischt haben.
Das dank der hochgenauen Erbgut-Analyse konnten die Forscher auch ermitteln, dass die Denisova-Menschen eine extrem geringe genetische Vielfalt besaßen. „Das liegt aber nicht daran, dass die Eltern und unmittelbaren Vorfahren unseres Individuums Inzucht betrieben haben“, erklären Pääbo und seine Kollegen. Stattdessen sei die Population dieses Menschentyps vermutlich sehr schnell von einer kleinen Gruppe angewachsen. Dadurch gehen alle Individuen auf nur wenige Ahnen zurück und sind sich daher genetisch sehr ähnlich.
Winzige Probe aus dem Fingerknochen
Für ihre Genanalyse hatte die Forscher eine winzige Probe aus dem Fingerknochen entnommen und daraus die DNA extrahiert. Um möglichst viel Material für die Sequenzierung zu erhalten, trennten sie dann die beiden Stränge der DNA auf und vervielfältigten sie. Auf diese Weise erhielten die Wissenschaftler eine Sequenz, die ihren Angaben nach trotz des hohen Alters des Denisova-Erbguts so genau und verlässlich war wie Analysen heutiger Gene.
„Nie zuvor wurde das Genom einer ausgestorbenen Lebensform in so hoher Qualität sequenziert“, sagt Matthias Meyer, der Erstautor der Studie. Für den größten Teil des Erbguts könne man sogar bestimmen, welche Genvarianten von der Mutter beziehungsweise dem Vater stammten. Bereits Anfang dieses Jahres hatte das Leipziger Forscherteam die gesamte Genomsequenz des Denisova-Menschen der Öffentlichkeit über das Internet zugänglich gemacht. Jetzt hat es die ersten Auswertungen dieser Sequenzierung veröffentlicht. (doi: 10.1126/science.1224344)
(Science, 31.08.2012 – NPO)