Übergewichtige haben auf dem Arbeitsmarkt schlechte Chancen: Sie werden von Personalern nicht nur ungern eingestellt, sondern auch drastisch unterschätzt. Das zeigt jetzt eine Studie eines Tübinger Forscherteams. Die Wissenschaftler hatten 127 erfahrenen Personalentscheidern Bilder von angeblichen potenziellen Bewerbern vorgelegt und ihnen verschiedene Fragen zu den abgebildeten Personen gestellt. Besonders ausgeprägt waren die Vorbehalte gegenüber übergewichtigen Frauen, zeigte die Auswertung. Ein zu hohes Körpergewicht ist demnach eine bisher vernachlässigte Ursache für eine Diskriminierung oder sogar Stigmatisierung auf dem Arbeitsmarkt, so das Fazit der Wissenschaftler um Katrin Giel. Sie schlagen vor, bei Bewerbungen auf Fotografien zu verzichten, um die Chancengleichheit zu wahren, wie sie im Fachmagazin „BMC Public Health“ schreiben.
Entscheidung auf Basis standardisierter Fotos
Auf den Fotos, die die Forscher den Personalverantwortlichen zeigten, waren jeweils nur die mit einheitlichen weißen T-Shirts bekleideten Oberkörper 12 verschiedener Personen im Alter zwischen 40 und 50 Jahren zu sehen, darunter sechs Männer und sechs Frauen. Jeweils vier der Abgebildeten waren stark übergewichtig. Von den Normalgewichtigen hatten vier einen Migrationshintergrund und vier nicht. Diese Kandidaten habe man dazugenommen, um zu verschleiern, dass es in der Studie ausschließlich um das Körpergewicht gegangen sei, erläutern die Forscher.
Die Personaler sollten dann verschiedene Fragen beantworten. Zuerst wurden sie gebeten, den Abgebildeten Berufe zuzuordnen. Zur Auswahl standen Arzt, Architekt, Optiker, Einzelhändler, Pförtner und Reinigungskraft. In einem zweiten Test sollten die Probanden angeben, wen von den Abgebildeten sie auf keinen Fall einstellen würden. Und im dritten Teil der Studie sollten sie schließlich aus sechs angeblich gleich gut qualifizierten Kandidaten die drei aussuchen, die sie für eine Abteilungsleiterposition in die engere Wahl ziehen würden.
Drastische Geringschätzung und Diskriminierung
„Die Ergebnisse sind eindeutig“, fasst Studienleiterin Giel zusammen: Die Übergewichtigen, speziell die Frauen, schnitten in allen Bereichen schlecht ab. Nur zwei Prozent der Probanden hätten den adipösen Frauen einen prestigeträchtigen Beruf wie Ärztin oder Architektin zugetraut – bei den normalgewichtigen Frauen waren es mehr als 43 Prozent. Zudem hätten lediglich sechs Prozent die dickeren Frauen für einen Abteilungsleiterposten in Erwägung gezogen, während sich bei den normalgewichtigen mehr als zwei Drittel für die Frauen entschieden, berichten die Forscher. Auch übergewichtige Männer wurden diskriminiert, allerdings nicht ganz so stark wie die Frauen. Die Schätzungen im Experiment lagen sogar noch weit unter den Werten, die auf dem realen Arbeitsmarkt in Deutschland zu finden sind. Das sei vor allem im Hinblick darauf erschreckend, dass Personalentscheider eigentlich dafür ausgebildet seien, unabhängig von Vorurteilen zu entscheiden, kommentiert Co-Autor Stephan Zipfel.
Die Stigmatisierung Übergewichtiger, die aus einer solchen Benachteiligung entstehe, animiere dabei nicht etwa zum Abnehmen – im Gegenteil: Sie fördere zum einen das klassische Frustessen und verhindere zum anderen die Teilnahme der Betroffenen an gewichtsreduzierenden Aktivitäten. Das hätten bereits mehrere frühere Studien gezeigt, schreibt das Team. Es sei daher dringend erforderlich, die Diskriminierung aufgrund des Körpergewichts stärker zu bekämpfen, mahnt das Team. Ein erster Schritt sei, bei Bewerbungsverfahren auf Fotos des Bewerbers zu verzichten, wie es beispielsweise im angloamerikanischen Raum bereits üblich sei. „Sonst ist für stark Übergewichtige das Verfahren möglicherweise schon zu Ende, bevor es richtig angefangen hat“, resümiert der ebenfalls an der Studie beteiligte Sportwissenschaftler Ansgar Thiel. (doi: 10.1186/1471-2458-12-525)
(BMC Public Health, 24.08.2012 – ILB)